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Flaschenpost aus Atlantis

„Erinnerst Du Dich?“ Hüsker Dü waren DIE Band der späten achtziger Jahre. Die Madeleine aß  ■ Thomas Winkler

Eines Tages im Juni des Jahres 1987 schwangen wir uns in den altersschwachen Toyota Kombi von Andreas Schudera und zuckelten nach Hamburg, obwohl wir wußten, daß wir schon zwei Tage später zurück in Berlin sein mußten. Am 11. Juni fand in der Hansestadt das von uns aus gesehen am nächsten liegende Konzert der Europa-Tournee von Hüsker Dü statt. Am Nachmittag des 12. Juni demonstrierten dann 50.000 (20.000 nach Polizeiangaben) in der Berliner Innenstadt gegen Ronald Reagan.

Nicht mal ein Jahr später gab es Hüsker Dü nicht mehr. Und auch nur einen Besitzerwechsel später wurde der Toyota Kombi sich selbst überlassen, von der Polizei wegen Umweltverschmutzung abgeschleppt. Andreas Schudera sind inzwischen beide Lungenflügel zusammengefallen. Glücklicherweise nicht gleichzeitig, doch seitdem tritt er etwas kürzer. Und ich fahre Opel Corsa.

Die Fettnäpfchen von 1987 werden revisited

Hüsker Dü gaben sich ihren Namen nach einem schwedischen Brettspiel: „Erinnerst Du Dich?“. Und es ist Zeit, sich zu erinnern an diesen Sommer 1987, als unsere Generation heiß und innig das Gefühl hatte, bei etwas Bedeutendem dabeizusein – auch wenn genau genommen nur ein Bolle-Supermarkt in Kreuzberg abbrannte und die Premiere der alljährlichen Kreuzberger Mai-Festspiele einläutete. Das Konzert in Hamburg gehört genauso dazu wie dieser 1. Mai, die Anti-Reagan-Demo genauso wie alle Hüsker-Dü-Platten, die bis dahin erschienen waren. Und das waren alle Hüsker-Dü- Platten die je erscheinen sollten. Bis zum Frühling 1994, bis heute, bis „The Living End“.

Das lebende Ende, Live-Aufnahmen von der 1987er, der letzten Tour von Hüsker Dü. Diese Platte ist eine Botschaft von einem versunkenen Kontinent. Wie ein archäologisches Relikt, das Rückschlüsse zuläßt auf die Lebensweise untergegangener Kulturen. Das Gute ist noch gut, das Böse noch böse und links ist noch da, wo der Daumen rechts ist, sagt diese Flaschenpost aus Atlantis.

Der Kontinent hieß Punkrock, und Hüsker Dü betraten ihn als hardcorendes Trio in der Stadt des Prinzen, Minneapolis, pünktlich zu Beginn der Achtziger. Sie hatten sich kennengelernt in einem Plattenladen, und sie wußten nicht viel, außer, wie man gewaltigen Lärm machte. Sie sollten noch viel lernen, aber den Lärm sollten sie niemals vergessen. Sie suchten und gingen die Wege aus der Sackgasse, die die Generation von 77 zurückgelassen hatte. Sie probierten die Wege, die die einzig gangbaren schienen und andere mit ihnen versuchten, wenn sie die Struktur des Rock 'n' Roll auf die pure, minimalistische Form zu reduzieren suchten; oder die Form aufbrachen, um sie versetzt mit zu viel Geschwindigkeit, Gewalt oder Freejazz wieder zusammenzuschütteln.

Doch dann entdeckten sie ihren ganz eigenen Weg, der genau mittendurch führte, der uns zur Melodie, zur Harmonik, zur Industrie, zum Erfolg, zu Grunge und schließlich zu Kurt Cobain führte. Mit jeder Platte wurde klarer, daß sie bewußt oder beeindruckend naiv die Fettnäpfchen, die die Rockmusik an Peinlichkeiten so bereitstellt, mit pfadfinderhafter Sicherheit trafen. Reintraten, drin stehenblieben und riefen: „Seht mal, macht uns gar nichts aus.“ Heavy-Metal-Gitarrensoli, abgenutzteste Beatles-Melodik, abgehangenes Byrds-Geflimmer, die berühmten drei Akkorde – nichts konnte ihnen etwas anhaben. Unverwundbar waren sie. Und schufen damit die Grundlage, daß einem Rocker nichts mehr peinlich sein mußte. Ein paar Jahre später war „Smells Like Teen Spirit“ plötzlich wieder möglich.

Wie bei den Beatles brauchte es zwei Pole, die um die goldene Mitte ringen, um das Beste, die Essenz einer ganzen Dekade, abliefern zu können. In unserem Film spielt ein etwas schwabbelig geratener Hitzkopf namens Bob Mould die Rolle von John Lennon. Ein eigentlich ruhiger Mensch, zum Kontemplativen neigend, aber: „Man erkennt die ganze Scheiße in dreißig Sekunden und versucht, das dann in zwei Minuten aufzuschreiben“.

Den Part von Paul McCartney übernahm ein ebenfalls zur Rundlichkeit neigender Mime namens Grant Hart. Hinter dem Schlagzeug sitzend, entwickelte er die Fähigkeit, den Menschen mit Hilfe grandioser Melodien Wohlgefallen zu bringen. Er sang so warmherzig, daß Steine weinten. Sein Herz ein offenes Buch, auch in der Wut, sein Schlagzeug immer nah an der Stimme, dann wieder so monoton, daß es weh tat, aber hastdunichtgesehen: eine unvorhergesehene Ecke, wie sie nur ein singender Trommler spielen konnte.

Bassist Greg Norton dagegen glänzte vor allem durch einen gewaltigen Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart. Und mußte mit seinen Basslines oft den Song tragen, weil Mould und Hart mit allerlei lauten Sperenzchen beschäftigt waren.

Hüsker Dü brachten die kleinste mögliche Rockproduktionseinheit zurück: Das Trio, eine Tradition, die seit Mountain oder Cream arg in Vergessenheit geraten war. Mit ihnen und nach ihnen hatten wir die Minutemen, respektive fIREHOSE, Dinosaur Jr., die Lemonheads oder die Meat Puppets und natürlich schlußendlich Nirvana.

Das Trio war für Hüsker Dü der kompakteste Weg zum direkten Ausdruck. Und doch entsprang ihre Musik dem Schwebezustand zwischen Mould und Hart, zwischen dem schweren Hardcore und den Popmomenten, zwischen dem Metal der Gitarre und der Leichtigkeit, in der sie gleichzeitig flirrte. Hüsker Dü brauchten keine explizit politische Band zu sein, weil sie erkannten und in den Hardcore einführten, was der Spontilinken bereits eine alte Weisheit war, von unserer Generation aber noch einmal neu erfahren werden mußte: Die Revolution fängt in deinem Gefühlshaushalt an. Sie konnten 80 Prozent Love- und No-Love- Songs schreiben (wie Mould zugab) und trotzdem Punkrock bleiben. Weil sie den Soundtrack spielten, als sich unsere Generation von ihrer Version der „Straße“ verabschiedete – und der Politik, die damit zusammenhing.

Pränirvanabeatles als Eintagshelden

So war es nachher nie wieder. Nachdem sie sich aufgelöst hatten, wurde die übliche dreckige Wäsche gewaschen. Der Manager hatte Selbstmord begangen, von diversen Drogenabhängigkeiten Harts war die Rede; der konterte gleich mit der Single „2541“, die die glorreichen Gründerjahre der Band beschrieb. Mould wiederum wandte sich auf seiner ersten Solo- Platte „Workbook“ radikal vom bisher demonstrierten musikalischen Ansatz ab: Akustische Gitarren und ein Cello boten ihm die Möglichkeit, seine schon immer aus ihm hervorbrechenden Textriemen auszubreiten. Damit war es dann aber gut, Mould kehrte schon mit der nächsten Platte und endgültig mit seiner Band Sugar zum Erfolgsrezept zurück.

Auch der Trennungsschmerz des kleinen Bruders wich relativ schnell. Grant Hart verließ den Schlagzeugschemel, lernte mit den Jahren doch noch Gitarre spielen, machte mit seiner Band Nova Mob eine Platte warmherziger als die vorherige, oft schlecht produziert, aber immer mit mehr Soul, als es ihm die Trio-Enge zuvor gestattet hatte. Plötzlich erkannte man überdeutlich, wie sich die beiden zehn Jahre und acht Platten lang ergänzt hatten: Mould sorgte dafür, daß Harts Drang zum Kitsch nicht zum Selbstzweck verkam, Hart glättete Moulds selbstzerstörerischen Zorn.

„The Living End“ bringt 1987 zurück, das Jahr, in dem es so aussah, als könnten Hüsker Dü den lendenlahmen Bruce Springsteen zurück nach Freehold, New Jersey, schicken. Der Rolling Stone erkor ihre letzte Veröffentlichung, das Doppelalbum „Warehouse: Songs and Stories“, zur Platte des Monats, und die Europatournee füllte immerhin schon mittelgroße Hallen.

Wo sind diese Leute hin, die anderen drei- oder viertausend, die damals auf der Reeperbahn ebenso wie ich glaubten, gerade die größte Band des Planeten zu sehen? Beim ersten Solo-Auftritt von Grant Hart verloren sich im Berliner Loft vielleicht 150 nach Linderung suchende Seelen. Und Hart gab ihnen ein wenig davon, gab ihnen „When Pink Turns To Blue“. Mould habe ich nie alte Stücke von Hüsker Dü spielen sehen, warum auch immer.

Die geniale Balance ist dahin, was bleibt, ist Musik. Die schönen Seiten davon, wie schon wieder von Grant Hart auf der neuesten, selbstbetitelten CD seiner Band Nova Mob gezeigt. Auch wenn manche Songs Titel tragen wie „Shoot Your Way To Freedom“ schwebt über den Wassern das herausgerissene Herz von Hüsker Dü, die Seele des Spiels. „See and Feel and Know“ heißt ein anderes Stück. Wäre auch ein guter LP-Titel geworden.

Bob Moulds aktuelles Album „Poison Years“ faßt einige Songs seiner Solo-LPs „Workbook“ und „Black Sheets of Rain“ zusammen, die noch vor der Gründung von Sugar und deren finanziellen Erfolg herauskamen. Fünf davon in bisher unveröffentlichten Live-Versionen. Die dokumentierten Jahre mochten für Mould noch so vergiftet gewesen sein, aber wieder einmal spürt man den Kopfmenschen: Da, wo Hart kübelweise Gefühl ausschüttet, türmt Mould Wortberge auf. Sagt viele schlaue Sachen. Und knödelt wieder unvergleichlich.

Kübelweise Gefühl für die „Generation X“

Was noch bleibt, ist der Zufall. „The Living End“ und die damit verbundenen Erinnerungen fallen mit dem Tod eines Mannes zusammen, der mehr zu Ende bringt als nur das Leben eines Rockstars. Unser schnelles Scheitern des Jahres 87, das immer schon viel mit Inszenierung und „Medien“ zu tun hatte, verbindet sich mit dem scheinbar zwangsläufigen Scheitern des Kurt Cobain. Und langsam glaube ich auch zu verstehen, warum der Tod von Cobain der erste öffentliche war, der mich in eine Art Schockzustand versetzt hat – obwohl ich nie ein echter Nirvana- Fan war. Wir, die berüchtigten Twenty-Somethings (um einmal nicht von der „Generation X“ zu reden), haben erstmals jemanden an die Realität verloren.

Die Älteren kämpften noch gegen Brokdorf und den Nato-Doppelbeschluß, wir spielten Ende der Achtziger nur noch ein Räuber- und-Gendarm-Spiel mit der Obrigkeit. Wir mußten uns unsere kleine, postpubertäre Revolte selbst inszenieren, weil niemand das Feindbild abgeben wollte. Als Bolle brannte, hatten die Bullen einen Anlaß, aber wir immer noch keinen Grund. Wir schmeckten 1987 zwar das Tränengas, das regelmäßig durch 36 wehte, aber am beliebtesten war immer die „Tagesschau“, die unsere Heldentaten würdigte.

Erst als die Inszenierung da anlangte, wo sie schon bei Janis, Jimi, Jim, Marvin und John geendet hatte, war doch etwas anders. Wir hatten unseren ersten Rock-'n'- Roll-Tod erlebt. Und das war dann doch ein konsequenter Schlußstrich und Aufruf zum Neuanfang für eine Generation, die bisher nicht einmal ein Bild von sich in der Brieftasche hatte.

Hüsker Dü: „The Living End“ (WEA)

Bob Mould: „Poison Years“ (Virgin)

Nova Mob: „Nova Mob“ (World Service / Rough Trade)

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