Freunde fürs Leben

In der Wiederholung findet das Fernsehen zu sich selbst  ■ Von Klaudia Brunst

Heute abend also wird das Fernsehen ausgewiesen historisch. Daß man den Filmklassiker „Es geschah am 20. Juli“ aus dem Jahr 1955 am 50. Jahrestag des Hitler- Attentats in die Dritten Programme verbannt und sich mit der szenischen Dokumentation „Netzwerk“ (20.15 Uhr, ARD) mitten im Sommerloch zu Aktualität hinreißen ließ, scheint angesichts der saisonalen Programmplanung ausgesprochen unüblich. Denn außerhalb solcher „D-Day“-Daten gibt sich das Deutsche Fernsehen zwischen Juni und September eher auf subtile Weise geschichtsbewußt: Unaufdringlich, aber systematisch zeigt man uns, was einmal war. Wiederholungen allerorten sollen uns offenbar tagtäglich vor Augen führen, daß außer uns sowieso alle GEZ-Bürger auf Ibiza weilen. Warum, so mögen sich die Produktionsabteilungen der Sender denken, sollen wir da unsere schönsten Stücke einem abwesenden Volke unterbreiten?

Kaum also ist die WM – die leider aus ihr urwüchsig innewohnenden Gründen aktuell berichtet werden muß – vorüber, werden wir wieder mit den Kabinettstückchen unserer verflossenen Jugend verwöhnt: Mit Fury und Flipper, dem Daktari und Lou Grant. Für alle, die das öffentlich-rechtliche Qualitätsfernsehen seinerzeit verpaßt haben, wiederholt 3 sat die besten Lehrstücke des Bildungsfernsehens, und was dort keinen Platz findet, landet gerne in den Dritten. Aber auch die Privaten halten sich noch gründlicher als sonst an ihre Maxime „Doppelt versendet spart besser“.

So haben sich beispielsweise Ilona Christen (nach Ibiza?) und Hans Meiser (zu Ilona?) bis auf weiteres aus dem täglichen Talk- Einerlei verabschiedet. Fürsorglich haben sie uns aber ein paar Konserven dagelassen – auf daß wir sie während ihrer Abwesenheit ja nicht vergessen.

Wie könnten wir! Denn da, wo das Fernsehen seinen Programmauftrag einmal wirklich einlöst, wo es tatsächlich zu sich selbst findet, knüpft es doch Verbindungen fürs Leben. Auch wenn es die Macher gerne anders hätten: Das Fernsehen ist kein Nachrichtenmedium wie die Zeitung, keine Traumfabrik wie das Kino. Wir brechen nicht auf (an den Kiosk oder ins Kino), um eine neue Erfahrung zu machen. Im Gegenteil, mit dem Gebrauch des Fernsehapparats bitten wir die Welt in unser Wohnzimmer.

Dort allerdings, in unseren eigenen vier Wänden, regieren wir empfindlich auf die Botschaften von außen: Krieg in Bosnien! Nervengift im Teppich! Rassismus in der guten Stube! Verwirrt und verängstigt von der Komplexität der reportierten Ereignisse, drücken wir da recht schnell auf den Umschaltknopf, flippen hektisch durch die Kanäle, immer auf der Suche nach dem bekannten Gesicht, der erahnbaren Story, dem verläßlichen Ritual. Deshalb schätzen wir die Krimis von Herbert Reinecker, deren Machart uns nach all den Jahren bestens vertraut ist, darum lieben wir das gute alte „Wetten, daß...?“ und tun uns andererseits so schwer mit der neuen „Goldmillion“.

Wenn wir das sichere Territorium des Unterhaltungsfernsehens doch einmal verlassen müssen, um uns dem „realen Draußen“ zu stellen, dann aber nur in Begleitung eines vertrauten Dritten. Daß der Anchorman in der Nachrichtenvermittlung fast wichtiger ist als die Nachricht selbst, zeigt sich an den Folgen seiner plötzlichen Abwesenheit. Jeder Moderatorenwechsel stürzt uns zutiefst in Unsicherheit. Nur sehr zögerlich haben wir beispielsweise unser „Tagesthemen“-Vertrauen von Hajo Friedrichs auf Ulrich Wickert umschichten können. Kaum verschmerzbar ist für die Soziallotterie „Aktion Sorgenkind“ der Ruhestand ihres langjährigen Vertreters auf Erden, Wim Thoelke.

Nur mühsam gewöhnen wir uns in der Prime-time von Oktober bis Mai an die vielen neuen Unterhaltungsmenschen, an die Arabellas und Koschwitz', mit all ihren neuen Spielideen und Formaten. Könnten wir wählen, die altbekannten Gesichter wären uns die liebsten – Robert Lembke oder Werner Veigl, Harry Klein oder Hansemann Beimer.

Das Neue hat es bei uns aus Prinzip schwer. Aber wenn es aber unbedingt sein muß, stellen wir uns natürlich doch der Veränderung im Programmfluß: Folge für Folge streifen wir dann unsere Scheu ein wenig mehr ab, legen die Fernsteuerung alsbald versuchsweise zur Seite und lassen die vielen Fremden, die uns da ständig einen „Guten Abend“ wünschen, ein Stückchen näher an unser gemütliches Sofa heran. Und irgendwann, nach sieben oder acht Folgen, haben wir uns die Marotten der „Golden Girls“ dann tatsächlich angeeignet. Vorausgesetzt, die Programmverantwortlichen haben den Sendeplatz der Serie nicht dreimal gewechselt, was oft genug vorkommt und dann so ist, als würden unsere Nachbarn plötzlich in einen anderen Bezirk ziehen. Man sieht sich jetzt nicht mehr so regelmäßig, irgendwann bricht der Kontakt womöglich ganz ab. Man hat sich buchstäblich aus den Augen verloren.

Nicht so im Sommerloch des Fernsehsommers. Wie bei einem Klassentreffen werden die alten Beziehungen wieder aufgefrischt. Was der ARD nicht mehr gut genug ist, „Simon & Simon“ oder „Lassie in Not“, findet bei der privaten Konkurrenz ein neues Zuhause. Daß mein guter Freund „Columbo“ seit seinem Eintritt in meine Fernsehwelt mittlerweile die dritte Synchronstimme verpaßt bekam, macht es mir zwar nicht eben leichter, ihm auch bei RTL die Treue zu halten. Immerhin aber trägt er noch seinen alten Trenchcoat, fährt sein ölleckendes Cabrio und raucht seine dicken Zigarren. Wenn ich den Ton wegdrehe, kann ich sie förmlich riechen.