■ Der gerechte Friede und der Teilungsplan
: Bosnien rückt in weite Ferne

„Wer nichts gegen das Unrecht tut, kann gegen die Festschreibung des Unrechts nicht protestieren.“ So kommentierten amerikanische Journalisten die Zustimmung Bill Clintons zum Teilungsplan für Bosnien. Doch viel mehr als ein Versuch, die Debatte über einen gerechten Frieden für Bosnien abzuschließen, war dies nicht. Und die Meinungen hierzulande? Berichte über ethnische Säuberungen, die trotz Waffenstillstands und Beratungen über den Genfer Teilungsplan weitergingen, sind in die Kurzmeldungsspalten gerückt. Ab und zu schickt ein Fernsehsender einen Reporter durch das Land. Heraus kommen Momentaufnahmen. Zusammenhänge werden kaum mehr hergestellt.

Als die Serben Srebrenica eingeschlossen hatten, verfolgte die kritische Öffentlichkeit jeden Schritt, den UNO-General Morillon zur Rettung der Stadt und ihrer Bewohner unternahm. Als Goražde bedroht war und die Hilferufe des Bürgermeisters live in unsere Wohnzimmer kamen, erhielt nicht nur die taz- Redaktion Appelle der verschiedensten Organisationen. Seit drei Wochen wird um die Stadt Bihać gekämpft, die Zahl der Toten soll bei über tausend liegen. Appelle gibt es keine.

Vielleicht wird ein Historiker einmal feststellen, daß die Nato-Luftangriffe auf Goražde im April so etwas wie eine „moralische Wende“ unter den Kriegs- Zuschauern einleitete. Denn in Goražde erwies sich endgültig, daß die Nato lediglich zu einem sehr begrenzten Einsatz in Bosnien bereit war und ist. Seit Goražde sind die bosnischen Verhältnisse noch komplizierter geworden. Die klare Unterscheidung zwischen Angreifer und Angegriffenen begann zu schwinden. Die Muslime fingen an, gegeneinander zu kämpfen, die bosnische Armee ging von der Verteidigung zum Angriff über, der multikulturellen Gesellschaft schien eine Islamisierung zu drohen. All jene, die schon immer gewußt hatten, daß die Muslime an dem Krieg mitschuldig seien, sahen hierin einen guten Grund, sich nun endgültig aus der Diskussion zurückzuziehen. Sollten die Völker des Balkans doch weiter aufeinander einschlagen.

Aber auch all jene, die die Behauptung von der angeblich undurchschaubaren Lage für sich nicht akzeptieren wollten, wurden von ihr eingeholt. Bereits bei den Diskussionen über ein militärisches Eingreifen des Westens hatte auch der überzeugteste Anhänger dieser Intervention sich den Argumenten der Interventionsgegner nicht ganz verschließen können. Als dann aber die bosnische Armee sich daranmachte, von Serben besetztes Land zurückzuerobern, wurde die Frage, ob dies nicht ihr gutes Recht und daher zu unterstützen sei, nicht mehr thematisiert. Nur der ein oder andere wagte einen vorsichtigen Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg. Schließlich hätten auch die Alliierten bis zur bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands gekämpft.

Der Verweis auf die „Verwirrung von Goražde“ erklärt jedoch nicht alles. Denn auch in den 23 langen Kriegsmonaten davor gab es zwar unzählige Analysen der bosnischen Lage. Kaum eine hat sich jedoch damit beschäftigt, wie ein Nachkriegsbosnien und wie eine für beide Seiten akzeptable Friedenslösung eigentlich aussehen könnte. Wer es dennoch versuchte, scheiterte oft schon bei der Antwort auf die Frage, ob das multikulturelle Zusammenleben in Jugoslawien je funktioniert hatte. Deutlich wird: Nicht nur für die USA, sondern auch für EU-Europa ist Bosnien in immer weitere Ferne gerückt. Wer nicht versucht, das Unrecht zu verstehen, der wird es akzeptieren. Sabine Herre