In urbaner Wildromantik

■ Könnte Spaß machen: „Sommer Nacht Traum“ hinterm Tacheles

Erstens: Wer heute Theater unter freiem Himmel spielt, hat entweder keinen anderen Einfall oder ein Konzept. Zweitens: Wer Shakespeares „Sommernachtstraum“ draußen spielt, muß sich mit der Assoziation von elisabethanischen Bretterbühnen in halbüberdachten Theatern ebenso konfrontieren wie mit der Tradition, naturalistische Sommernachtswälder in großbürgerlichen Musentempeln kunstvoll nachzubauen. Drittens: Was den gesellschaftlichen Gehalt dieses Zauberstückes anbelangt, so hat Hans Neuenfels das Verhältnis von Macht und Triebstruktur letzten Sommer im damals gerade verscheidenden Schiller Theater in kaum zu überbietender Schlüssigkeit gezeigt.

Jeder dieser drei Punkte spricht für die Inszenierung, die Carlos Medina derzeit im Skulpturenpark des Tacheles zeigt. Hier geht es ausschließlich um den privaten und wohl ewig aktuellen Aspekt des Wankelmuts der Liebe. Der ganze gesellschaftspolitische Hintergrund bleibt ausgespart, ebenso jegliches magische Detail: kein Theseus, keine Amazonenkönigin, keine Handwerker, kein Puck. Nur Hermia und Lysander, Helena und Demetrius treten auf – deswegen heißt das Ganze auch nicht „Sommernachtstraum“, sondern „Sommer Nacht Traum“ nach Shakespeare“.

Die vier Liebenden bewegen sich in einer Art Erlebnispark, den auf der einen Seite die Tachelesruine begrenzt und auf der anderen eine Brandmauer. Der Hof von Theben ist im Ruinendurchgang angesiedelt und durch zwei Reihen Bauzäune gesichert, vor denen das Publikum anfänglich kauert oder steht.

Der Wald, den man beim Szenenwechsel zu durcheilen hat, besteht aus Holzbalken, die in den Sand gesteckt wurden, und „lichtet“ sich zu einem kleinen Tümpel hin, über dem sich eine Spielfläche aus Drahtgeflecht erhebt, die sich nach allen Seiten neigen läßt. Hier kauert man dann wieder in sommernächtlicher Andacht, Fackeln und Feuer lodern ringsherum, und auch das Wasser selbst steht bei Bedarf in Flammen. Sinnlich und intelligent hat Paulo San Martin Theaterhaftigkeit in die Frischluftästhetik integriert und einen Ort urbaner Wildromantik geschaffen.

Und das dramaturgische Konzept konterkariert dieses Ambiente vortrefflich. Denn ohne Pucks Zaubersaft wird das erotische Verwirrspiel realistisch, transparent und – komisch. Hermia ist einfach zu keusch für Lysander, deswegen verfällt er der sinnlichen Helena. Und als Demetrius bemerkt, daß die von ihm bisher Verschmähte das Lustobjekt eines anderen geworden ist, spürt auch er plötzlich so etwas wie Liebe in seinen Lenden keimen.

Es könnte also einen Riesenspaß machen, diese Mechanismen so ausgestellt zu sehen und sich darüber zu freuen, gerade mal nicht selbst betroffen zu sein. Aber das tut es nur partiell. Denn es gibt noch ein Viertens, das auszusparen nun wirklich nicht mehr möglich ist: Wer ein Shakespeare-Leporello bis auf vier Figuren ausrottet, braucht vier ganz vorzügliche Darsteller. Und hieran hapert es. Zumal Medina die vier mehr oder weniger als Hochleistungssportler zeigt. Das fängt mit einem Bungee- Sprung Lysanders in einen vermeintlichen Liebestod an und wird mit gebrülltem Liebesgeflüster über eine Entfernung von mehreren hundert Metern fortgesetzt. Ein 90minütiger Kraftakt.

Unter solchen Bedingungen noch zu nuancieren gelingt Andreas Stadler (Lysander) und Eva Mannschott (Helena) zwar buchstäblich streckenweise, Uwe Neumann hingegen nicht und Teresa Polle gar nicht. Möglicherweise und ganz vielleicht ja als Verfremdung inszeniert, gerät Polles starker spanischer Akzent auch noch zu einem wesentlichen Hindernis: Man versteht nur mit größter Anstrengung, was hier angestrengt und im immer gleichen Ton verlautbart wird.

Das ist dann das Aus für die ironische Wildromantik, man beginnt, die gesamte Wahrnehmungskraft in die Akustik zu stecken, wie früher, als man als letzte an einer Traube vor der Tür eines übervollen Hörsaals hing. Reines Handwerk also ist es, was Carlos Medinas einsichtiges Konzept und sein rhythmisches und teilweise sehr konzentriertes szenisches Arrangement zum Kippen bringt. Schade, schade. Sehr schade. Petra Kohse

„Sommer Nacht Traum“ nach Shakespeare, Regie: Carlos Medina, Spielraum: Paulo San Martin, mit: Eva Mannschott, Uwe Neumann, Teresa Polle, Andreas Stadler. Zunächst bis 30.7. (Verlängerung geplant), Di.–Sa., 22 Uhr, Skulpturenpark des Tacheles, Oranienburger Straße 54–56, Mitte.