Cool, cooler, langweilig cool

■ Die Witzbildchen des neuen Klassik-Rock und Grunge für Spießer - Peter Bagges "Hate"-Comic ist vom Carlsen Verlag zu "Leck mich" eingedeutscht worden

Pünktlich zum Freitod von Kurt Cobain erschien „Leck mich“, die deutsche Ausgabe von Peter Bagges „Hate“, im biederen Carlsen Verlag. Mit verunstaltetem Titel steigt das Heft zum achten Teil der Serie ein. Hier ist das Grunge- Interieur kaum übersehbar – ein sogenannter Underground-Comic, zielgruppengerecht im Karo-Flanellhemden-Look, mit Standort Seattle und einer Band, in der alle Mitglieder Kurt heißen. Die Handlung: Biersaufen, Frauen nachgeifern, WG-Streß, langweilige Jobs und Band-Querelen. Erzählt wird der Weg von Buddy Bradley, einem twentysomething-Typen, aus der Vorstadt in die Großstadt. Flippig-harmlose Geschichten von Leuten, die es nicht geschafft haben. Die Popzeitschrift Spex souffliert etwas von „wütend-fatalistischer Comic-Loser-Kultur“. Ein Beispiel des wütenden Fatalismus: „So toll ist es (Seattle) nicht! Und es wird langsam zu überlaufen und verdreckt!“ Dieses welterschütternde Grunge-Niveau wird beibehalten. Schreien, Prügeln, Nerven, Bumsen. Spätestens ab Heft zwei erscheinen selbst Tom und Jerry daneben als komplexe Persönlichkeiten.

Bagge ist kein Erzähler. Recht mühsam hangelt er sich von Episode zu Episode, nach dem Schema der Soap-opera: Auftritt, Aktion, Abtritt. Die Werbeeinblendungen beginnen einem zu fehlen. Für einen Gag wird auch schon mal die logisch-zeitliche Abfolge gebrochen. Eine Frau geht mit Buddy ins Bett, um hinter die Bühne zu kommen und den Leadsänger kennenzulernen. Als Buddy gerade damit protzen will, sagt der Sänger: „Vor dem letzten Set hab ich die geknallt.“ Warum sie dann mit Buddy ins Bett ging, ist nicht so ganz klar, Spaß hat es ihr jedenfalls keinen gemacht. Offenbar bekam Bagge zwei Erzählstränge nicht besser verbunden, und außerdem muß ja Sex in die Geschichte.

Ebenso schematisch wie der Aufbau der Geschichten ist der Zeichenstil Bagges. Wenn etwas geschieht, treten den Figuren blutunterlaufene Stielaugen hervor, werden Gelenke verdreht und der Mund aufgerissen. Der Seitenaufbau ist für US-amerikanische Verhältnisse extrem geordnet; drei Panelreihen, ein starres Von-links- oben-nach-rechts-unten-Erzählen. Altbekannte Stilmittel, für den Underground ziemlich lahm. Und „Hate“ ist beileibe kein Erstling: Bagge hat mehr als 800 Seiten gezeichnet und war drei Jahre lang Herausgeber von Weirdo.

Interessant wird „Leck mich“ bei der Beschreibung von Frauen, genauer bei der Aufarbeitung all jener Phänomene, die die Regale der Ratgeber füllen. Magersucht, Hysterie, Tabletten- und Drogenkonsum sind allgegenwärtig. Im ersten Heft etwa beschreibt Bagge das lethargische Verhalten eines weiblichen Junkie. Was macht er daraus? Die Figur Buddy sitzt neben der Frau, hört sich ihre Geschichte an und denkt: „Diese tollen Titten, schade, schade.“ Die beiden ersten Hefte von „Leck mich“ sind ein kompletter Reader über die Frauenfeinde der Neunziger: „Emanzen“ sind „blöde Spielverderber“, Frauen benehmen sich in der WG „wie eine Mama“ ... Die Gags laufen nach Muster; Frau sagt: Im Frauenbuchladen gibt es nur gute Bücher. Mann findet „Grüne Tomaten“. Leser merkt, daß Frau dumm ist. Selbstgefällige Rechthaberei à la Ted Bundy. Cool. Und als Sonderpack noch die in Rockkreisen übliche Schwulenhetze.

Aber in den Neunzigern sind selbst die Männer nicht mehr so dumm. Der Autor Bagge bemüht sich also, die Figur Buddy ambivalent zu halten. Natürlich hat sie durchaus menschliche Schwächen, haut die Band übers Ohr, besäuft sich besinnungslos auf der Flucht vor Problemen, hat ein gutes Herz. Mit 14 auf dem Schulhof stellt man sich so die wahren Männer vor. Daß diese Geschichten seither tausendmal abgespult wurden, macht den Erfolg von „Hate“ aus. Bagge beliefert sein Publikum mit steinalten Phrasen. Grunge, obwohl noch zu frisch für Klassik-Rock, wirkt in „Hate“ bereits muffig. Und wenn Spießertum sich durch Selbstgefälligkeit und billiges Abkanzeln des anderen auszeichnet, dann ist „Hate“ genau das – spießig.

Bagge aber verkauft sich klug. „In 20 Jahren, wenn Leute wissen wollen, wie es war, wird die einzige ehrliche Antwort auf diese Frage Peter Bagges ,Hate‘ sein.“ Auf diese Lobeshymne aus Seattle Weekly – sie fällt um so leichter, da man an diesem historischen Ereignis selbst teilnahm – entgegnete Bagge nur, daß die immer jemanden zum Hochjubeln bräuchten. Cool, cooler, langweilig cool. Daß Sex & Drugs & Rock'n'Roll etwas mit Befreiung zu tun hatten, daß Grunge gegen die synthetische Glattheit von Musik angetreten war, ist hier nicht mehr zu spüren. Der Yuppie Bagge mokiert sich über Jugend-Utopie. Was bleibt, ist Attitüde. Bagge kokettiert in einem Interview für The Comic Journal mit seinem Image als Loser gegenüber Art Spiegelman, seinem Lehrer an der Art School: „Spiegelman hielt uns für einen Haufen von faulen Reaktionären, die keinen richtigen Zugang zu ihrem Werk haben. Mit seiner Vermutung hatte er hundertprozentig recht.“

Hier ist Bagge wirklich authentisch. Authentisch und korrupt. „Leck mich“ wird sehr erfolgreich sein. Martin Zeyn

„Leck mich“, Carlsen Verlag Hamburg, 52 Seiten, 9,90 DM