Der ganz banale Jack

■ Hilft computergestütztes Drehbuchschreiben gegen Einfallslosigkeit? Oder triumphiert die Soap-opera? Gespräch mit der Software-Fee Gabriele Meiringer

Wer sich noch an „Barton Fink“ erinnert, weiß, daß Hollywoods Drehbuchschreiber mit einem Bein in der Hölle stehen. Werden sie auch die unausgesprochenen Wünsche ihres Studios erfüllen, oder wird man sie mit einem kurzen „unbrauchbar“ vernichten. Altmans „Players“ gab dann eine Ahnung von der Parzellierung, dem Taylorismus des Schreibens für die Majors, die es dem einzelnen Autor unmöglich macht, die Zukunft einer von ihm geschaffenen Figur, geschweige denn die eigene zu erkennen (daher immer die fatalen Verwicklungen von Drehbuch und wirklichem Leben). Die Angst vor dem Computer als Scriptwriter- Terminator mag in beiden Filmen eine Rolle gespielt haben. Gabriele Meiringer hat sich mit ihrer auf der Berliner Sommerakademie vorgestellten Software-Firma „Plots Unlimited“ aufgemacht, den armen Kerlen Standards an die Hand zu geben, die auch der giftigste Studiomagnat nicht mehr von der Hand weisen kann. An ihnen übt man das Denken in Mandelbäumchen.

Frau Meiringer, Ihre Software für Drehbuchschreiber – ist das etwa das, was man in Alain Resnais' Smoking/ No Smoking sieht, also einfach die bäumchenmäßige Verästelung diverser Handlungsfäden, nur eben computergesteuert?

Meiringer: Ich kenne jetzt den Film nicht. Ich habe drei Programme; und eines davon, „Plots Unlimited“, ist plötzlich richtig berühmt geworden. Darin können Sie nun auf mehreren Ebenen entscheiden. Zunächst wählen Sie ein Genre: Wollen Sie „Romance“, „Marriage“, „Activity“. Wenn Sie nun zum Beispiel Romance gewählt haben, können Sie von da aus zunächst „Komplikationen“, „das Ende“, oder „harmonischer Verlauf“ und noch ein viertes wählen, das mir jetzt entfallen ist. Unter diesen vier Stichworten finden sich dann wiederum insgesamt 500 Verzweigungen, vom Simpelsten bis zum Bizarrsten, die haben da wirklich nichts ausgelassen.

Nehmen wir doch mal Activity.

Wollen mal sehen: Also da gibt es „Mystery“, „Fortune“, „Mistaken Judgement“, „Helpfulness“ ...

Aber wie komme ich von einem Zweig auf den anderen; wie kriege ich zum Beispiel eine Romance, in der sich ein Mistaken Judgement ereignet?

Das Programm geht da sehr simplistisch – sagt man so im Deutschen? – vor. Sie müssen wählen, ob es jetzt nur um eine bestimmte Konstellation von Menschen geht, oder, wenn Sie spezifischer sein wollten, müßten Sie Charakterenkombination und Activity und eine Unter-, eine Subactivity, wählen. Zum Beispiel: „Harald und Richard sind Partner in einem maroden Unternehmen. Richard stiehlt die verbliebenen mobilen Werte des Unternehmens und beschuldigt aber Harald, das Verbrechen begangen zu haben. Sie können es dann in einem Mord, eine Liebesgeschichte, eine Abenteuergeschichte münden lassen.

Je spezifischer Sie werden, desto weniger Plots gibt es. Nachdem ich nun in San Francisco lebe, habe ich den Erfinder von Plots Unlimited angerufen und ihn gefragt: „Wie kommt es eigentlich, daß es nichts mit gleichem Geschlecht bei Ihnen gibt?“ Da sagt der: „Aber Gabriele, man muß doch nur den einen Namen verändern, da müssen Sie doch nur aus dem Jim eine Carol machen!“

Der Kern des Programms ist ein Hauptsatz: Eine Person X gerät in die Activity Y und kommt als veränderter Mensch wieder heraus.

Wie kriege ich denn einen Charakter dazu, in einen Fortune-Plot zu passen?

Ich sage Ihnen mal ein paar Characterkombinationen: Das fängt an mit dem ganz banalen Jack, der Protagonist. Nächste Stufe: Jack und sein Freund, Jack and the Stranger, Jack and the Criminal, Jack and an Inanimate Mysterious Object (IMO); Jack und sein Neffe; Jack, Carol and a male utility character. Sie können die Namen natürlich beliebig verändern und mit Ihrer eigenen Geschichte abgleichen. Für jeden können Sie eingeben: „a caring person“, „a criminal person“ und am Ende auch „any person“.

Ich denke, das Ideale für dieses Programm wäre eine Serie im Fernsehen. Wenn dann der Produzent zu den Autoren, die an dieser Serie arbeiten, sagt: So Kinder, am Freitag machen wir ein Story-Meeting, und ich möchte, daß jeder von euch fünf Ideen mitbringt. Da arbeiten Sie dann natürlich auf der Grundlage eines Hauptcharakters, sagen wir mal einer Frau, dann haben Sie zwei utility characters (Hilfschargen), und da sagen Sie dann, o.k., wir machen Mystery, mit Murder! In dieser Kombination gibt es dann, wenn Ihnen das Ergebnis nicht gefällt, auch einzelne Plotstücke, die Sie miteinander versetzen können.

Das lappt ja schon fast ins Interaktive!

Noch nicht ganz, aber es gibt ein ganz neues Programm, da können Sie eine Landkarte entwerfen mit kleinen Ballons, auf denen die möglichen und die bereits geschriebenen Verästelungen des Plots dargestellt sind. Sie können sich ja vorstellen, daß die Autoren gerade von lange laufenden Soap-operas sich bald selbst nicht mehr auskennen. Wenn man aber dann vor dieser Karte sitzt, braucht man nur noch einen kleinen Knopf zu drücken und hopps! springt die gewünschte Konstellation ins Textverarbeitungssystem. Sie können dann später auch den Befehl eingeben: Druck jetzt alle Stellen aus, an denen Sie ihm eine Szene macht. Sie können ja heute auch als Zuschauer schon auf CDs entscheiden, daß Carol sich jetzt eine Zigarette anstecken oder eine Szene machen soll. Das wird Kino in der Zukunft sein.

In welcher Weise wird denn diese Art von Programm die Dramaturgie oder Ästhetik von Spielfilmen beeinflussen?

Also ein Programm wie „Plots Unlimited“ wird da wenig Einfluß haben, weil es wohl wirklich eher für Serien attraktiv ist. Aber ein anderes Programm, was wir vertreiben, der „Collaborator“, könnte wirklich zu anderen Drehbüchern führen. Ein Mann hat mir neulich auf einem Workshop von einer Geschichte erzählt, an der er arbeitete. Er hatte sich an einen Mann aus seiner Kindheit erinnert, eine skurrile, bunte Figur. Zunächst war er ganz begeistert davon, aber der Collaborator hat ihm dann so viele Fragen gestellt, die er nicht beantworten konnte, daß er sich schließlich gesagt hat, nein, du mußt diesen Charakter noch auf Eis legen. Jetzt hat er die Geschichte als Off-Broadway-Filmmusical verkauft!

Ein Beispiel für die Arbeit mit diesem Programm ist der Film „Posse“. Sy Richardson hatte mit dem Collaborator gearbeitet, und der Computer hat ihn gefragt: Wer ist das Publikum für Ihre Geschichte? Warum wird dieses Publikum auf diese Geschichte reagieren? Was ist das Thema? Wenn man dann auf „Help“ drückt, wird einem erklärt, warum die Frage gestellt wurde: „Thema und Voraussetzung sind Teil von dem, was Aristoteles als Elemente des Dramas beschrieben hat.“ Es wird auch mit anderen Spielfilmen argumentiert; muß man bei diesem Thema die Familie positiv besetzen, family values einsetzen, oder kommt die Zielgruppe, im Fall „Posse“ eine junge städtische black community, ohne aus?

Es gibt auch ein Programm, mit dem man eine dreidimensionale Charakterdarstellung machen kann. Das wird nicht nur von Autoren, sondern auch gern von Schauspielern genommen, die sich auf ihre Rollen vorbereiten. Damit können Sie dann feststellen, ob jemand hinkt, ob er einen Akzent hat und welchen, was für eine Vergangenheit und so weiter, damit man einfach erfährt, wer im eigenen Stück so alles mitspielt!

Die Autoren hassen es natürlich, wenn Produzenten ihre Arbeiten in das Programm eingeben; aber wer hat schon Lust, die Katze im Sack zu kaufen.

Aber der Computer kann doch gar nicht reagieren auf das, was ich eingebe? Ich könnte ihm doch theoretisch eine Figur, sagen wir mal einen Berti Vogts eingeben, und als weitsichtigen, pfiffigen Italiener ausgeben, und er würde es nicht einmal merken?

Das ist richtig, aber inzwischen können die Computer auf Worte wie „somehow“ oder „somebody“ reagieren.

Also doch nix mit interaktiv, im Grunde sind das alles bloß bessere Datenbanken?

Ja. Ich suche seit Monaten nach einem Film, auf den man das Programm sozusagen retrospektiv anwenden könnte und habe es mit „Harry und Sally“ versucht; ich dachte, das ist eine leichte Komödie. Aber ich konnte es aus „Plots Unlimited“ nicht herausholen. In der Hinsicht ist es eben sehr limitiert. Interview: Mariam Niroumand