■ Gegen eine US-amerikanische Intervention in Haiti
: Was wollen die USA wirklich?

Am 28. Juli 1915 übernahm das US-Marinecorps die Kontrolle über Haiti, um Ordnung, Stabilität und Demokratie herzustellen. Nebenbei nutzte Washington die Gelegenheit, Haitis Verfassung umzuschreiben, um das Grundbesitz- Verbot für Ausländer zu beseitigen und die Wirtschaft unbeschränkten US-Investitionen zu öffnen. Die Invasion und die nachfolgende neunzehnjährige Besetzung entwaffnete und tötete Tausende sich wehrender Bauern und hinterließ die heutigen haitianischen Streitkräfte – eine Marionetten-Besatzungsarmee gegen die eigene Bevölkerung.

Die US-Regierungen (Republikaner wie Demokraten) haben eine lange Geschichte der Einmischung zugunsten unterdrückerischer Minderheiten – heißen sie Duvalier, Raoul Cédras, Michel François, Jean-Jacques Honorat, Marc Bazin: Die Liste derer, die unmittelbar von US-Geldern profitierten, liest sich wie eine Verbrecherkartei.

Es dauerte sieben Jahrzehnte, bis das haitianische Volk beginnen konnte, aktiv die Auswirkungen der US-Intervention in Frage zu stellen. Beginnend mit den Protesten, die 1986 die Diktatur der Duvaliers zu Fall brachten und bei den Präsidentenwahlen von 1990 in dem erdrutschartigen Sieg des Befreiungstheologen Jean-Bertrand Aristide über den US-Kandidaten Marc Bazin gipfelten, meldete sich Haitis verarmte Mehrheit mit der Forderung nach Selbstbestimmung und Freiheit zum Aufbau einer Demokratie zu Wort.

Nun, fast drei Jahre nach einem tückischen Staatsstreich des haitianischen Militärs und seiner reichen Hintermänner, droht die Möglichkeit einer erneuten Intervention und Besetzung. US-Truppen stehen vor der Küste bereit, und es wird an Plänen gearbeitet, bis zu 14.000 Mann zur „Friedenswahrung“ ins Land zu schicken. Diese Aktionen sind weit davon entfernt, eine mögliche Lösung der Krise zu liefern; sie drohen vielmehr den demokratischen Kampf des haitianischen Volkes um Jahrzehnte zurückzuwerfen. Ironischerweise liefern die beliebtesten Argumente für die Intervention auch die besten Gründe, sich gegen sie auszusprechen.

Die Verfechter wollen uns glauben machen, alle anderen Optionen seien erschöpft und nur durch kriegerisches Vorgehen lasse sich das widerspenstige Militär von der Macht vertreiben. Nähere Beobachter wissen jedoch, daß die US- Politik bisher nur deshalb nicht die Putschführer zum Abtreten bewegen konnte, weil sie das gar nicht wollte. Sanktionen waren lediglich eine zynische Illusion. Sie wurden nur nachlässig vollzogen, es gab Schlupflöcher und über die dominikanische Grenze einen regen Verkehr – so konnten sie weder die Elite treffen noch die entscheidenden Öllieferungen beenden. Selbst jetzt noch sinkt der Benzinpreis in Port-au-Prince.

Das Thema der Flüchtlinge hat die politische Unterdrückung überschattet. Verhandlungen werteten das Militärregime auf und setzten Aristide zugleich unter Druck, umfassende und einseitige Konzessionen einzuräumen, die den Putsch zu institutionalisieren drohen. Selbst die – bestenfalls lauwarme – verbale Unterstützung Aristides durch die Vereinigten Staaten verblaßte vor dem offiziell geduldeten Rufmord und den Fehlinformationen über seinen Umgang mit den Menschenrechten.

Man vergleiche dieses komplizierte Szenario mit der Leichtigkeit, mit der die USA Jean-Claude „Baby Doc“ Duvalier oder General Prosper Avril beiseite räumten. Letzterer soll nach einem einfachen Telefongespräch zurückgetreten sein. Tatsächlich ist schon der bloße Gedanke, das haitianische Militär trotze der Supermacht, die es seit Jahrzehnten beliefert und ausgehalten hat, zutiefst unlogisch und unvorstellbar.

Die vergangenen drei Jahre liefern starke Belege dafür, daß den USA der politische Wille fehlt, Präsident Aristide wieder mit realer Macht in die Regierung einzusetzen. Hätte es diesen Willen gegeben, wäre nach den Lehren der Geschichte und der Logik Gewalt nicht erforderlich. Was also ist das reale Ziel der bevorstehenden Invasion und Besetzung? Kurz gesagt: Das haitianische Volk soll daran gehindert werden, die Aristide-Regierung zu ihren eigenen Bedingungen wieder einzusetzen, um dann das militärische Establishment zu beseitigen oder entscheidend zu lähmen. Wer das nicht glaubt, braucht nur die nun bekannt werdenden Operationspläne einzusehen.

Nur die drei bekanntesten Befehlshaber des Militärs stehen auf der Säuberungsliste – sie werden ins Exil geschickt, wo sie ihre Memoiren verhökern können, während sie mit ihren Vorgängern Anekdoten austauschen und auf ihre Nachfolger warten. Der Rest des Offizierskorps bleibt unbehelligt, geschützt durch eine umfassende Amnestie und gestärkt durch ein neues Finanzierungs- und „Professionalisierungs“-Programm der US-Regierung.

Zweitens wird jede Rückkehr der Aristide-Regierung bestenfalls symbolisch sein. Sollte Aristides Heimkehr überhaupt unterstützt werden – und das ist unter den Machteliten der USA noch keineswegs ausgemacht –, verlangen die Vereinigten Staaten, daß er seine Regierung weiter „verbreitert“ und Schlüsselpositionen eben den Sektoren überläßt, die bei den Wahlen verloren und dann ihre Zuflucht beim Putsch suchten. Anscheinend reicht den Vertretern der US-Regierung ein Wahlsieg von 67 Prozent als glaubwürdiger nationaler Konsens nicht aus.

Schließlich, ob Invasion oder nicht, drängt Washington auf eine eigene Besatzungstruppe. Während die vorgeschlagene Truppenzahl bei 14.000 liegt, nimmt auch ihr Auftrag an Umfang zu (von „technischer Hilfe“ zu „Friedenswahrung“, „Aufbau der Demokratie“ und „Wahlüberwachung“) ebenso wie die vorgesehene Aufenthaltsdauer (von maximal sechs auf mindestens achtzehn Monate).

Haitis demokratische Basisorganisationen machen sich keine Illusionen über eine wundersame Wende der US-Außenpolitik und stehen fest vereint gegen jede Form der Invasion oder Besatzung. Von den USA wünschen sie sich nur eins: daß sie jede – verdeckte oder offene, ausdrückliche oder implizite – Unterstützung für die Putschführer und ihre Verbündeten einstellen mögen.

Letzten Endes liegt die Hoffnung auf Errichtung einer stabilen Demokratie in Haiti in der Stärkung dieser Volksorganisationen. Obwohl von der Unterdrückung schwer getroffen und von der zwiespältigen Haltung der internationalen Gemeinschaft enttäuscht, organisieren diese mutigen Aktivisten weiterhin den Widerstand. Vor allem haben sie sich standhaft geweigert, auch nur einen Plan zur symbolischen Wiedereinsetzung Aristides zu billigen, der Konzessionen beinhaltete, die ihrem höchsten Ziel entgegenstünden – der Errichtung eines Systems, in dem die Menschen an den Angelegenheiten des Staates beteiligt werden. Weniger hat das haitianische Volk nicht verdient. Laurie Richardson

Die Autorin ist Co-Direktorin von „Haiti Reborn“, einer amerikanisch-haitianischen Lobbygruppe in Washington