■ Normalzeit
: Das Terrassen-Raumschiff „Family“

Wer sich, in Berlin lebend, mit seinen westdeutschen Eltern oder mit dem, was ihm davon noch geblieben ist, einen schönen Nachmittag machen will, der fährt an den Wannsee. Dort ist es im Sommer am allerberlinischsten. Und wenn die Sonne blaßrot hinter Preußens Arkadien zwischen Sacrower Kirche und Cecilienhof im Jungfernsee versinkt, dann sitzen sie alle auf den „Wannsee- Terrassen“ und proben über Schwarzwälder Kirschtorten wie verrückt den herrschaftsfreien Dialog. Sogar Eberhard (Diepgen) trifft sich dort bisweilen mit seiner Mutter, und deswegen ohne Leibwächter, nackt quasi.

Drei Tische weiter sitzt eine solariumgoldene Schreibkraft mit ihrem „Daddy“, der aus einem Dorf östlich von Husum angereist ist. Seine Tochter hat es mittlerweile bis zur Boden-Stewardeß bei der Lufthansa gebracht und schämt sich des „Outfits“ und der „Outsprache“ ihres sie liebenden Vaters. Sie vereist geradezu, wenn er sie anfaßt: „Nun hab dich doch nicht so!“ „Es wird kühl, wollen wir nicht langsam gehen?!“

Vor mir flüstert eine süddeutsche Mutter mit ihrer etwa vierzigjährigen Tochter, beide haben dicke blonde, etwas wirre Haare. Die Tochter ist Freigängerin mit Pillen-Picknick-Packung aus einer psychiatrischen Klinik, will ihrer Mutter aber partout nicht die Schuld an ihrem ganzen jetzigen Unglück geben, trotzdem meint sie doch noch einmal anmerken zu müssen: „Wenn du mich damals nicht im Stich gelassen hättest, wäre alles anders gekommen, aber ich will ja nicht wieder davon anfangen!“ Die Mutter will etwas erwidern, läßt es dann aber, weil bereits alles x-mal von den beiden durchgekaut worden ist. Statt dessen streicht sie ihrer Tochter durchs Haar. Das wirkt. Jedenfalls vorübergehend.

Rechts von den beiden erklärt ein schnurrbärtiger Formbauer seinem Vater aus Pirmasens anhand einiger Handzeichnungen vor ihnen, wie die Yacht aussehen wird, nachdem er sie umgebaut hat. Der Vater wollte das so genau eigentlich gar nicht wissen. Immer wieder schaut er sinnend auf das aufs tessinischste glühende Gelände zum See hinunter und über die vielen Segelboote. (Das Tag-Fahrverbot für Motorboote muß jeden Augenblick enden!)

Nachdem das generell biotopfreundliche Auto-Fahrverbot der Rot-Grünen für die Havelchaussee wieder aufgehoben worden war – zugunsten der dort ansässigen Amüsier-Soziotope (genannt sei das Schildhorn-Ensemble, ein Pärchentreff in allen Einkommensklassen)–, pollerte man zum kompromißlerischen Ausgleich die Uferstraße mit Halteverbots- Schildern zu, und zwar so großzügig, daß man jetzt eigentlich nur noch mit dem Auto durchbrackern kann. Zusätzlich wurden viele Parkplätze noch mit Zäunen aus Eichenbalken abgesperrt. Im Grunde hat man damit das genaue Gegenteil von dem erreicht, was einmal mit der Chaussee- Sperrung gewollt war. Erschwerend kommt nun noch hinzu, daß die GI-Bataillone nicht mehr da sind, die bisher immer, mindestens einmal im Jahr, den Wald links und rechts der Chaussee geharkt hatten – eine alte Manöverauflage aus dem Kalten Krieg, als die „Berlin-Brigade“ noch fit wie ein Turnschuh zu sein hatte. Die Amis besuchten auch immer wieder gerne die Wannsee-Terrassen, zumal wenn ein „Holiday“ mit Frau und Kindern auf dem Programm stand. Die Einführung des Eisbechers „Challenger“ dort geht auf sie zurück. Das war noch, bevor dieses halbfeministisch bemannte Raumschiff explodierte. Helmut Höge

Wird fortgesetzt