Der erforschte Mann

Was wir noch nie über Männer wissen wollten und trotzdem überall nachlesen können / Männerforscher erobern Unis und Buchläden  ■ Von Marlene Stein-Hilbers

Männer und Männlichkeiten stehen im Zentrum neuerer Diskurse über das Geschlechterverhältnis. Ein Blick über den populärwissenschaftlichen Buchmarkt läßt deutlich werden, wie sehr Männer und männliche Lebensweisen zunehmend in den Blickpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit geraten. Die sogenannte „Männer-Literatur“ wächst an; Buchläden haben inzwischen eigene Abteilungen zur „Männer- Frage“ eingerichtet.

Darüber hinaus werden männliche Lebensweisen zunehmend auch Thema der hochschulgebundenen Sozialwissenschaft. Es sind vor allem männliche Autoren, die in ihren Arbeiten selbstreflexiv auf die Kategorie Geschlecht Bezug nehmen und über Männer forschen und schreiben. Eine spezifisch männliche Subjektivität, männliche Erfahrungen und männliche Identitätsbildungen stehen im Mittelpunkt der hier publizierten Arbeiten. Männliche Gewalt, die materielle und sexuelle Ausbeutung durch Männer werden dabei auffallend wenig thematisiert.

Ein Grundtenor erscheint den hier eröffneten Diskurs zentral zu durchziehen: Auch Jungen und Männer haben es nicht leicht, das Zum-Mann-Werden ist eine schwierige und komplizierte Angelegenheit. Das Grundmuster männlicher Sozialisation sei die Externalisierung: die männliche Außenorientierung im räumlichen, emotionalen und verhaltensmäßigen Sinne und das damit verbundene Defizit an Fähigkeit zur Empathie. Die Unfähigkeit zur Wahrnehmung und Verbalisierung von Emotionen, Körperferne und Rationalität, auch Gewalt und die Benutzung anderer gehen, so das Forscherduo Lothar Böhnisch/ Reinhard Winter, damit einher. In neueren deutschsprachigen Publikationen wird der „parteiliche Blick“ auf die Jungen und Männer gefordert. Diese bislang aus politischer Theorie und feministischer Literatur bekannte Terminologie verwirrt: sind wir doch daran gewöhnt, Parteilichkeit als Parteinahme für unterlegene, diskriminierte Gruppen von Menschen zu begreifen. Müssen wir Jungen und Männer so sehen?

Ein Bestreben zur Umwälzung von Geschlechterverhältnissen, von Arbeitsteilungen, Macht und Herrschaft wird auch bei Sozialwissenschaftlern, die sich selber als „kritische Männerforscher“ verorten, kaum erkennbar. Sie versuchen vielmehr, die Kategorie Männlichkeit umzubewerten und mit neuen Inhalten zu versehen. Gefordert wird die neue, veränderte männliche Identität. Jungen und Männer sollen wieder in Übereinstimmung mit den eigenen Gefühlen leben und nicht mehr unter dem Zwang stehen müssen, diese zu verdrängen und zu externalisieren. Besonders oft wird dies in die Formel gekleidet, sie sollen ihre „weiblichen Anteile“ nicht länger verleugnen, sondern zulassen.

Auf der Suche nach der neuen männlichen Identität

Deutlich wird bei alledem, daß das Ziel nicht darin gesehen wird, ein Ein-Geschlecht-Modell anzustreben, was ja theoretisch auch denkbar wäre. Keinesfalls sollen alle Menschen weiblich oder zumindest androgyn werden, wie es etwa Elisabeth Badinter vorschwebt. Vielmehr wird immer wieder die Notwendigkeit der Herausbildung einer – wenn auch veränderten – männlichen Identität gefordert (bis hin zur vehementen Unterstützung des Im-Stehen-Urinierens).

Das Motto des Ganzen scheint zu lauten: Ändere deine Person, deine Emotionalität und deine Verkehrsformen, verzichte auf Gewalt und Ausbeutung – aber bleibe Mann! Bleibt die Frage, warum es für Männer wichtig ist, nichtweiblich zu sein, sondern höchstens die sogenannten „weiblichen Anteile“ zuzulassen.

Zwang, sich als Mann oder Frau zu definieren

Gegenwartsgesellschaften sind tiefgreifend nach Geschlecht strukturiert und polarisiert. Mit der Unterscheidbarkeit der Geschlechter geht ihre spezifische Anordnung im Sozialsystem einher. Geschlecht fungiert als Strukturierungs- und Ordnungsprinzip, das Männern und Frauen einen spezifischen Platz in sozialen Strukturen und Milieus zuweist und diese wiederum unter dem Geschlechteraspekt organisiert. In einer nach Geschlecht polarisierten Welt stehen alle Individuen unter dem Zwang, sich entweder als Mann oder Frau zu definieren und sich in dieser Weise sozial zu verorten. In ihrem sozialen Handeln stellen Menschen ihr Leben lang und in all ihren Lebenstätigkeiten ihre Geschlechtszugehörigkeit symbolisch dar. Sie markieren permanent die eigene Geschlechtszugehörigkeit und ebenso die von InteraktionspartnerInnen, damit also auch die Eigenarten der Geschlechter „im allgemeinen“. Sie greifen dabei auf ein Repertoire „historisch sedimentierter, aber auch in stetem Wandel befindlicher“ (Stefan Hirschauer) männlicher und weiblicher Verhaltensweisen zurück. Jede soziale Interaktion als Frau oder Mann markiert immer auch Über- und Unterordnungsverhältnisse in Geschlechterbeziehungen, Bedeutungen also, die an Männlichkeit und Weiblichkeit geknüpft sind. Politische und soziale Ordnungen werden auf diese Weise reproduziert.

Mit allen Versuchen, Differenzen und Gemeinsamkeiten von Frauen und Männern zu systematisieren, gehen zumindest zwei Effekte einher: die Beschreibung von empirisch erfahrbaren/nachweisbaren Phänomenen der sozialen Wirklichkeit und die Beteiligung an der symbolischen Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und der Plausibilisierung einer gleichsam natürlichen Ordnung. Jede Betonung und Hervorhebung von Weiblichkeit oder Männlichkeit ist immer auch als Bemühen um die Wahrung einer hierarchisierten Geschlechterordnung interpretierbar. Männlichkeit wäre dann eine ideologische Konstruktion zur Verfestigung männlicher Dominanzansprüche.

Unter diesen Gesichtspunkten ist die sich neu artikulierende „Männerforschung“ oder auch „kritische Männerforschung“ auf ihre ideologischen Gehalte hin zu hinterfragen. Es bleibt notwendig, sich mit Geschlechterverhältnissen und Geschlechterordnungen zu befassen, und es ist sinnvoll, wenn Männer dies ebenso tun wie Frauen. Notwendigerweise muß dies unter Berücksichtigung der hierarchischen Struktur dieser Verhältnisse geschehen und mit besonderem Augenmerk auf die Aufhebung und Überwindung von Frauendiskriminierung.

Verfeinerung männlicher Subjektivitäten

Die sich neu artikulierende Männerforschung läßt bislang kaum Ansätze in dieser Richtung erkennen. Sie scheint eher auf eine zeitgemäße Modernisierung und Verfeinerung männlicher Subjektivitäten abzuzielen. Dies verstellt den Blick dafür, wie sehr Männer von der bestehenden Geschlechterordnung profitieren.

Immer stärker werden Forderungen laut, eine neue Männerforschung, gleichsam als Äquivalent zur Frauenforschung, in der Hochschule einzurichten. Die neue Männerforschung strebt nach Etablierung in einer Institution, die ohnehin männlich dominiert ist und in der Männer über Ressourcen und Zugänge zu Berufspositionen verfügen. Politisch bedeutet das eine weitere Vormachtstellung im Wissenschaftssystem. In den USA und in Großbritannien beobachten wir, daß die Begriffe feminist studies oder women's studies zunehmend ersetzt werden durch gender studies. Es handelt sich dabei nicht nur um terminologische Veränderungen, sondern um theoretische und politische Umstrukturierungen und zugleich auch um eine Verlagerung von Ressourcen und Positionen: Der erste US-amerikanische Lehrstuhl für gender studies ging an einen Männerforscher.

Bereits eine Benennung als Männerforschung legt terminologisch eine Äquivalenz und eine Gleichwertigkeit von Perspektiven nahe. Sie unterstellt eine Neutralität der Begriffe, der Fragestellungen und der methodischen Zugangsweisen, die so nicht vorausgesetzt werden kann. Ähnliches gilt auch für eine Umbenennung in Geschlechterforschung. Insofern spricht vieles dafür, sich unter dem Dach von Frauenforschung oder feministischer Wissenschaft weiterhin mit dem Geschlechterverhältnis und damit auch dem sozialen Handeln und der Situation der Männer zu befassen, allerdings mit dem speziellen Blick auf Konsequenzen für die Lebenssituation und Handlungsmöglichkeiten von Frauen.

Die Autorin ist Dozentin am interdisziplinären Frauenforschungszentrum der Universität Bielefeld