Noch kommt die Hilfe nicht nach Goma

Die UNO-Hilfsgüter für die ruandischen Flüchtlinge in der zairischen Stadt lassen auf sich warten / Schwierigkeiten mit den Franzosen / Derweil wird die Notlage immer schlimmer  ■ Aus Goma Bettina Gaus

In Goma hat das große Sterben begonnen. Hunderte von Leichen liegen an den Straßenrändern der zairischen Grenzstadt. Einige sind in Bastmatten eingewickelt, andere in Tücher. Viele Flüchtlinge halten Lumpen vor ihre Gesichter, um den durchdringenden Geruch der Toten abzuwehren.

Manchen Körpern ist auf den ersten Blick nicht anzusehen, ob noch Leben in ihnen steckt. Die sechsjährige Desimana hat sich minutenlang nicht bewegt. Regungslos liegt sie in ihrem leuchtendblauen Kleid, das wohl Teil ihrer Schuluniform gewesen ist, auf der Erde. Als das Mädchen angesprochen wird, bringt es ein kleines, schüchternes Lächeln zustande. Aufstehen kann das Kind nicht mehr. „Mit ihr geht es zu Ende“, erklärt Mwambi Bigaruka, zairischer Ortsvorsteher der kleinen Gemeinde Kasenyi unweit von Goma, nüchtern. „Ihre ganze Familie ist krank, wahrscheinlich wegen des unsauberen Wassers.“

Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die seit Tagen befürchtete Choleraepidemie in der Region ausgebrochen ist. Mehr als 300 Kranke, die verdächtige Symptome aufweisen, sind bereits unter den ruandischen Flüchtlingen registriert worden. Eine Seuche hier würde sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreiten: Zu Tausenden schleppen die Hilfesuchenden gelbe Kanister mit Wasser auf ihren Köpfen, das sie unmittelbar aus dem nahen Kivu-See holen. Eine Möglichkeit, die verunreinigte Brühe wenigstens abzukochen, gibt es nicht. Die Äste und Zweige, die die Flüchtlinge als Brennmaterial ergattern können, stammen von den wenigen Bäumen in Goma. In ein paar Tagen wird es hier überhaupt keine Bäume mehr geben.

Die internationalen Hilfsorganisationen sind überfordert. „Diese überwältigende Aufgabe hier kann nicht auf herkömmliche Weise gelöst werden“, erklärt Filippo Grandi vom UNO-Flüchtlingswerk UNHCR. „Der Ball ist jetzt im Feld ausländischer Regierungen. Sie haben uns ein Mandat gegeben, jetzt müssen sie uns helfen, das Mandat zu erfüllen.“ Das UNHCR hat an die Regierungen verschiedener Industrienationen appelliert, nicht nur Hilfsgüter, sondern auch eigene Teams und Fahrzeuge in die Region zu schicken, in der mehr als eine Million Flüchtlinge gestrandet sind.

Der Bedarf ist gigantisch: Allein 30 Millionen Liter Wasser und 600 Tonnen Nahrungsmittel werden jeden Tag gebraucht. Benötigt werden außerdem 4.000 Rollen Plastikplanen, 400.000 Wasserkanister, eine Million Decken. Ausländische Regierungen sollen helfen, den Flughafen instand zu halten, Straßen für Lkw-Transporte auszubessern, die Wasserversorgung zu sichern und sanitäre Anlagen zu bauen.

Jeder Versuch, ein Problem zu lösen, zieht sofort neue Schwierigkeiten nach sich: Um die Hilfesuchenden, die noch immer zu Hunderttausenden unter freiem Himmel in Goma kampieren, aus der Stadt zu bringen, wurden vier große Gebiete im Umkreis von knapp 60 Kilometern als Lagerplätze ausgesucht. Kämen alle Flüchtlinge jedoch sofort dorthin, wäre eine medizinische Katastrophe nicht aufzuhalten. Noch gibt es an den Orten weder Wasser noch sanitäre Anlagen. Der harte vulkanische Boden macht es erforderlich, daß Latrinen und Brunnen mit Hilfe von Maschinen gebohrt werden. „Normalerweise werden in einem Flüchtlingslager zwei- bis dreitausend Latrinen gebraucht. Hier brauchen wir 60.000“, sagt Filippo Grandi.

Auch unter Beobachtern, die die logistischen Schwierigkeiten anerkennen, wächst Kritik an den UNO-Organisationen. Eine Woche nach Beginn des Massenansturms auf Goma hatte gestern vormittag noch kein Gramm UNO-Lebensmittelhilfe die Notleidenden erreicht. Lediglich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat damit begonnen, einen Teil seiner Vorräte von 1.500 Tonnen an die Flüchtlinge zu verteilen. „Wir haben eine Übereinkunft mit dem IKRK, daß sie am Straßenrand verteilen und wir in den Flüchtlingslagern“, erklärt Panos Moumtzis von UNHCR. „Aber wir kommen gar nicht bis zu den Lagern durch, weil die Straßen so verstopft sind mit Flüchtlingen.“ Warum räumen die französischen Militärs, die in der Region stationiert sind, nicht die Straßen frei? Die Frage auf einer Pressekonferenz bleibt unbeantwortet. UNHCR-Vertreter weisen lediglich darauf hin, die Franzosen hätten sich als „sehr kooperativ“ erwiesen. „Sie sind beispielsweise sehr aktiv darin, die Toten zu bestatten.“

Französische Militärs koordinieren auch trotz der von der UNO angekündigten Übernahme des Flughafens von Goma nach wie vor den Luftverkehr. Die meisten Landegenehmigungen werden noch für Militärflugzeuge erteilt. „Wir könnten von heute an täglich durchschnittlich 240 Tonnen Hilfsgüter einfliegen“, meint Ramino Lopez da Silva, Cheflogistiker des Welternährungsprogramms WFP. „Aber wir haben für heute nur zwei Landegenehmigungen bekommen, konnten also nur 60 Tonnen hereinbringen.“

Die ortsansässige Bevölkerung steht der Notlage verzweifelt gegenüber. „Wir fürchten uns vor Epidemien“, sagt bereits bei der Einreise ein Grenzbeamter. Nadir Hussein, ein indischer Geschäftsmann aus Goma, hat seine Frau und seine sechsjährige Tochter am Montag nach Burundi evakuiert. „Hier ist es zu gefährlich. Wir wissen doch nicht, wie es weitergehen soll.“ „Was tun die internationalen Organisationen eigentlich?“ fragt Ortsvorsteher Bigaruka. „Schauen Sie sich all die Leute hier an. Wir wissen einfach nicht mehr, was wir machen sollen.“