Die Volksfrontparole ist kontraproduktiv

■ Der letzte Ministerpräsident der DDR und ehemalige stellvertretende Vorsitzende der CDU, Lothar de Maizière, zur Strategie seiner Partei gegenüber der PDS

taz: Herr de Maizière, „Zukunft statt Linksfront“ lautet die zentrale Wahlkampfparole der CDU. Ist das die Alternative, vor der die Bevölkerung in den neuen Bundesländern steht?

de Maizière: Mit dieser Formel wird man der Situation, wie sie zur Zeit besteht, nicht gerecht. Alle Maßnahmen, die die PDS in besonderer Weise ins Gerede bringen, haben den gegenteiligen Effekt von dem, der mit der Parole angestrebt wird.

Welchen gegenteiligen Effekt erwarten Sie?

Unerwünschte Solidarisierungseffekte und damit entsprechende Ergebnisse der PDS bei den kommenden Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl.

Entspricht die Volksfront- Klassifizierung den Koordinaten, unter denen die Bürger der neuen Bundesländer die politische Landschaft betrachten, oder ist es nicht vielmehr eine Frontziehung, die im westdeutschen Antikommunismus der sechziger Jahre wurzelt?

Ich glaube, daß alte Feindbilder der Bundesrepublik noch nicht ausreichend abgebaut sind, so daß eine solche Formulierung dort ihren Nährboden findet. Die Volksfrontparole mag bei dem Wahlbürger der alten Bundesrepublik möglicherweise auf Erfolg stoßen, wird aber im Osten kontraproduktiv sein.

Wenn die „Volksfront“-Wahlkampfstrategie falsch ist, wie sollte sich die CDU des Problems PDS annehmen?

Nicht beachten.

Das wurde die ganze Zeit schon gemacht, mit geringem Erfolg.

Das sehe ich nicht so.

Man hat sie ausgegrenzt und in der komfortablen Position der Opposition belassen.

Richtig.

Was sollte also geschehen?

Ich meine, daß man in der Tagespolitik vor Ort die Wähler der PDS und die ehemaligen Mitglieder ausgegrenzt hat und ihren schlechtere Chancen für ihre zukünftige Lebensgestaltung eingeräumt hat. Wenn bei einem hochqualifizierten Wissenschaftler, nachdem er die Stasi-Überprüfung durchlaufen hat und seine fachliche Qualifikation festgestellt wurde, die Systemnähe herangezogen wird, um eine Weiterbeschäftigung zu verneinen, dann muß man sich nicht wundern, wenn der beim nächstenmal nicht mehr das bürgerliche Lager wählt.

Die PDS betrachtet sich gerne als authentische Vertreterin der Interessen der Ostdeutschen und hat damit Erfolg. Wieso gelang es weder CDU und SPD noch Bündnis 90/Grünen, in diese Rolle zu schlüpfen?

Die PDS hat die Themen besetzt, die ihr die großen Parteien überlassen haben. Diese haben die Schwierigkeit, den Spagat zwischen den Interessen ihrer Wähler in den alten und in den neuen Bundesländern zu üben. Die PDS, die gemerkt hat, daß sie in den alten Bundesländern nicht Fuß faßt, muß diesen Spagat nicht machen und konzentriert sich auf ostdeutsche Themen. Dabei hat sie das Glück, als Oppositionspartei nie sagen zu müssen, wie sie ihre Forderungen finanzieren will.

Diese Oppositionsrolle ist auch der Abgrenzungspolitik der anderen Parteien geschuldet. Ist diese Strategie gescheitert?

Parteien müssen sich gegeneinander abgrenzen. Doch bei der PDS haben sie sich offensichtlich nicht nur gegen die Partei, sondern auch gegen deren Wähler abgegrenzt. Und das war der Fehler.

Wurde nach der Wende von der SPD und der Bürgerbewegung die Chance verpaßt, das gegenüber der DDR systemkritische Potential der damaligen SED/PDS an sich zu binden?

Als sich das Neue Forum gründete, hatte es einen enormen Zulauf, sowohl von reformorientierten Kräften, die noch Mitglieder der SED und der Blockparteien waren, als auch von Basisgruppen. Das einigende Band war das Contra gegen die SED. Als das wegfiel, als später die SED/PDS und später die PDS erkennbar kein Gegner mehr war, mit dem um die Macht im Osten zu ringen sei, fiel das Neue Forum auseinander, und die neuen Gruppierungen haben sich in einer Weise pluralisiert, die ihnen nicht gutgetan hat.

Der Erfolg der PDS wie auch die Renaissance der sozialistischen Parteien in den osteuropäischen Ländern zeigen, daß die alten Funktionseliten in Politik und Wirtschaft nicht einfach negiert werden können.

Das ist sicher ein zentrales Element, wenn auch gesamtdeutsch nicht so wirksam wie etwa in Polen oder Ungarn. Letztendlich war die Bildungspolitik der DDR so, daß 90 Prozent der Intelligenz in der SED steckte. Das war auch der Hintergrund, der mich vor einem Jahr veranlaßte, mit anderen eine Versöhnungsoffensive zu starten. Ich war der Meinung, wir können nicht 2,4 Millionen erwachsene Bürger, ein Fünftel der Wählerschaft, dauerhaft ausgrenzen.

Man hätte also schon früher auf die Anhänger der PDS zugehen sollen?

Sicher, wobei die Mitglieder nicht das entscheidende sind, sondern die Wähler.

Die Wahlerfolge hat die PDS aufgrund ihrer Oppositionslinie. Da ist doch die Einbindung in die Regierungsverantwortung die richtige Gegenstrategie.

Die gegenwärtige Rolle, die Höppner der PDS in Sachsen-Anhalt zugedacht hat, ist die komfortabelste, die die sich wünschen kann. Sie darf weiter Opposition sein und ab und an mit generöser Geste staatspolitisches Verantwortungsbewußtsein zeigen.

Also konsequenterweise gleich an der Regierung beteiligen?

Zu dieser Entscheidung ist die sachsen-anhaltinische SPD noch bereit, nicht jedoch die Bundes- SPD.

Wird denn die PDS überhaupt im Bundestag einen solchen Stellenwert erreichen, daß sie als Bündnispartner in Betracht kommt?

Das glaube ich nicht.

Wird die PDS auf Dauer eine Rolle in der deutschen Politik spielen?

Die Rolle der PDS wird abnehmen in dem Maße, in dem eine kluge gesamtdeutsche Politik die Probleme bewältigt, deren sich die PDS demagogisch bemächtigt.

Interview: Dieter Rulff