"Wir gehören in diese Stadt"

■ Der türkisch-islamische Friedhof am Columbiadamm hat eine fast 200jährige, bewegte Geschichte / Seit sechs Jahren werden dort Tote nicht mehr bestattet

Die fünf türkischen Männer stehen nebeneinander vor dem Sarg des kleinen Mädchens, sie senken die Köpfe. Einige der Frauen weinen ein paar Meter abseits. Der Imam beendet die Trauerrede, die Männer heben den weißen Kindersarg, die kleine Versammlung zieht zum Tor des türkischen Friedhofs. Dort, auf dem Columbiadamm, wartet schon der Leichenwagen.

Auf dem kleinen Neuköllner Friedhof wird bereits seit sechs Jahren nicht mehr bestattet. Nach den 220 Gräbern, die es auf dem Kernfriedhof gibt, war damals auch das Gräberfeld auf dem benachbarten Garnisonsfriedhof, das bis zum Neuköllner Freibad reicht, endgültig belegt. Seitdem steht den 150.000 Berliner MuslimInnen nur ein neuer islamischer Friedhof weit draußen in Gatow zur Verfügung. Die Türkisch-Islamische Union (Ditib), die beide Begräbnisstätten verwaltet, hätte ihn lieber in der Nähe des alten Friedhofs gehabt. „Aber dort gab es keinen Platz für uns“, sagt Sabri Adak von Ditib.

Auf beiden Begräbnisstätten sind die Sicherheitsmaßnahmen in den letzten Jahren verschärft worden. Dreimal wurden auf dem Neuköllner Friedhof bereits Gräber geschändet, das erste Mal kurz nach der Wahl der Reps ins Berliner Abgeordnetenhaus 1989. Danach wurde die Backsteinmauer rund um den Friedhof durch einen spitzen Metallzaun erhöht, außerdem kontrolliert nachts ein Wachmann das Gelände.

Auf vielen Gräbern in Neukölln wächst inzwischen dünnes Gras. In arabischer, türkischer und deutscher Sprache zeigen Grabsteine aus nahezu allen Dekaden dieses Jahrhunderts, daß hier nicht nur TürkInnen ihre letzte Ruhe finden: Jugoslawische und arabische, aber auch deutsche MuslimInnen sind mit Blick nach Mekka begraben.

Die Gründung des Friedhofs vor fast 200 Jahren geht jedoch auf einen Türken zurück: 1798 stellte Friedrich Wilhelm III. für die Beisetzung Ali Aziz Efendis, dem ersten ständigen Gesandten des Osmanischen Reiches, ein Gelände auf der „Tempelhofer Feldmark“ zur Verfügung, etwa dort, wo heute das Urban-Krankenhaus steht. Nach einer weiteren Beisetzung gerieten die Gräber in Vergessenheit. Erst 1836 wurden sie von einem Bauern beim Pflügen wiederentdeckt, in den folgenden Jahren begrub man dort weitere Türken aus dem diplomatischen Dienst. Die Toten mußten 30 Jahre später einer preußischen Kaserne weichen. Sie wurden auf das Gelände des heutigen Friedhofs überführt.

Im Ersten Weltkrieg, in dem das Osmanische Reich an der Seite des imperialistischen Deutschland kämpfte, kamen türkische Verwundete nach Berlin. Einige von ihnen starben und wurden hier begraben. Auch danach waren es zunächst meist Diplomaten, Beamte und deren Familien, die am Columbiadamm bestattet wurden. So auch der türkische Botschafts- Imam Hafiz Sükrü Efendi, auf dessen Initiative der Friedhof zu Beginn der 20er Jahre zum ersten Mal erweitert wurde.

Ein neues Gräberfeld kam Anfang der sechziger Jahre hinzu, kurz nachdem die ersten sogenannten GastarbeiterInnen aus der Türkei angekommen waren. Auf eine Moschee mußte der Friedhof jedoch noch lange warten: Erst Mitte der 80er wurde ein altes Wachhaus in ein Gotteshaus umgebaut.

Das seine ursprüngliche Aufgabe eine andere war, sieht man dem lindgrün gestrichenen Bau, der auch ein Café, einen kleinen Laden und den an jeder Moschee zu findenden Friseur beherbergt, trotz Minarett und Kuppel auch heute noch an. Doch das soll bald anders werden. Dem alten Gebäude steht der Abriß bevor. Am hinteren Ende des Friedhofs klafft bereits ein riesiges Loch, die Baugrube für eine neue Moschee.

„Die Mehrheit der Muslime“, meint Sabri Adak, „läßt sich nach ihrem Tod noch immer in ihr Herkunftsland überführen“. Wenn das Geld dazu nicht reiche oder niemand sich um die Überführung kümmere, dann werde in Berlin bestattet. Doch einige der Berliner MuslimInnen entscheiden sich auch bewußt für ein Begräbnis an der Spree. „Denn wir gehören inzwischen zu dieser Stadt“, sagt Sabri Adak. Die Familie des türkischen Mädchens hat sich anders entschieden. Es ist auf dem Neuköllner Friedhof nur gewaschen und eingebettet worden und längst auf dem Weg in die Türkei. Sabine am Orde