Ein Seismograph für Krebsrisiken

■ Berlin führt das Krebsregister der DDR, das von 1961 bis 1989 bestand, weiter / Vorläufige Erfassung der Daten soll ohne Zustimmung der Patienten möglich sein

In Berlin wird derzeit eine gesetzliche Grundlage für die Weiterführung des ehemaligen DDR- Krebsregisters erarbeitet. Gemeinsam mit den östlichen Bundesländern wird Berlin das Krebsregister auch dann fortführen, wenn sich der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat Ende August nicht auf ein bundesweites Krebsregister verständigen kann.

Dem Krebsregister melden die behandelnden Ärzte neben den persönlichen Daten die Diagnose, den Zeitpunkt der ersten Krebsdiagnose und die Therapie. Erfragt wird außerdem der Beruf und die am längsten ausgeübte Tätigkeit. Derzeit wird das Krebsregister der DDR, das von 1961 bis 1989 bestand, auf der Grundlage des Krebsregistersicherungsgesetzes weitergeführt. Da dieses Ende 1994 ausläuft, muß nun eine Nachfolgeregelung her.

Der bisherige Entwurf, an dem eine gemeinsame Arbeitsgruppe der fünf östlichen Länder und Berlins noch arbeitet, sieht eine Reihe von Änderungen vor. Am wichtigsten ist für die Patienten die geplante Änderung des Einwilligungsrechtes. Bislang mußte eine Zustimmung der Patienten vorliegen, bevor ihre Daten an das Krebsregister übermittelt wurden. Wie Dagmar Mann, die zuständige Koordinatorin beim Gesundheitssenator, erläuterte, kann künftig der behandelnde Arzt die Daten bereits zu einem Zeitpunkt übermitteln, „an dem er seinen Patienten noch nicht mit der Krebsdiagnose konfrontieren will“. Der Patient habe jedoch zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, die Meldung seines Arztes zu widerrufen. Die Daten im Krebsregister müssen dann gelöscht werden. „Erfahrungsgemäß wird von dieser Möglichkeit kaum Gebrauch gemacht“, erläutert Mann. Mit dem Kunstgriff soll offenbar sichergestellt werden, daß die Daten des Krebsregisters möglichst vollständig sind, nachdem eine Meldepflicht wie zu DDR-Zeiten nicht durchsetzbar ist.

Zugleich wird der Datenschutz im neuen Entwurf verbessert. Künftig soll die Abtrennung der persönlichen Daten und die Vergabe einer Nummer in einer sogenannten Vertrauensstelle erfolgen. Die Registerstelle, die die Daten verarbeitet, erhält damit von vornherein anonymisierte Daten. Bisher erfolgt beides in einer Stelle. Nach der bisherigen Gesetzeslage ist die Nutzung des Registers deshalb aus Datenschutzgründen eingeschränkt. „Derzeit können wir nur wirklich wichtige Forschungsvorhaben unterstützen und nicht jede Anfrage für eine Promotion beantworten“, so Mann. Dies werde sich aber ändern. Sie hofft, daß dem Krebsregister künftig auch eigene Forschungsmittel zur Verfügung stehen. „Das ist allerdings noch Zukunftsmusik.“

Dagmar Mann warnt auch vor überzogenen Erwartungen an ein Krebsregister: „Wir können aufgrund der Daten keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen auslösenden Faktoren und der Häufigkeit von Krebserkrankungen feststellen. Wir liefern lediglich die Datenbasis für die weitere Forschung.“

Doch dies bleibt häufig aus. „Sekundäruntersuchungen werden meist nicht durchgeführt, weil jede soziale oder umweltbedingte Krebsursache eine Anklage oder Handlungsanweisung für die Politik ist“, kritisiert der Chef der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber. Ein Krebsregister sei ein „Seismograph für mögliche Krebsursachen“. „Wenn man mit den Daten nichts anfängt, nützt auch ein Register nichts.“ Es werde aber immer Wissenschaftler geben, die das Krebsregister für weitergehende Forschung nutzen. Huber verweist auf skandinavische Forscher, die krebsauslösenden Stoffen auf die Spur kamen, weil sie auf der Basis eines Krebsregisters weitere Studien durchführen konnten. Kritikern, die am Nutzen eines Krebsregisters zweifeln, hält Huber entgegen: „Es ist ein notwendiges Instrument, um Krebsrisiken in der Umwelt oder am Arbeitsplatz ausfindig zu machen.“ Ein Register, das nur Krebsfälle in Ostdeutschland und Berlin erfaßt, hält Huber wegen der Bevölkerungsfluktuation zwar „nicht für optimal, aber man kann etwas damit anfangen“.

Derzeit verfügt das Krebsregister über 31 MitarbeiterInnen. Noch unterstützt der Bund die Weiterführung der Datenbank mit jährlich einer Million Mark. Die übrigen 1,8 Millionen Mark teilen sich die Ostländer nach einem Bevölkerungsschlüssel. Berlin trägt gegenwärtig acht Prozent der Kosten. Wenn künftig auch die Daten für den Westteil der Stadt erfaßt werden, steigt der Anteil Berlins auf 19 Prozent. Dies entspricht, wenn der Zuschuß des Bundes entfällt, jährlichen Kosten von 560.000 Mark. Dorothee Winden