Wilhelm Pieck und andere „Dinokraten“

Am kommenden Montag wird die Wilhelm-Pieck-Straße in Torstraße umbenannt / Der Optiker Frank Hübner wehrt sich mit Geschäftsleuten und Anwohnern gegen die Umbenennung  ■ Von Kordula Doerfler

Bei Frank Hübner, seines Zeichens „Optometrist“ in der Wilhelm-Pieck-Straße, steht seit Wochen das Telefon nicht mehr still. Frank Hübner ficht einen verzweifelten Kampf gegen die übermächtige „Dinokratie“, gegen den Senat, das Abgeordnetenhaus und den Bezirk Mitte: Vom kommenden Montag an soll die Wilhelm- Pieck-Straße wieder den Namen Torstraße tragen. Dann wird der Bezirk die Schilder mit dem neuen alten Namen montieren lassen. Bereits im 18. Jahrhundert hieß der Straßenzug zwischen dem Oranienburger und dem Prenzlauer Tor „Vor den Thoren“, später schlicht Thorstraße. Zwar wird der ehemalige DDR-Ministerpräsident noch nicht gänzlich aus dem Straßenbild verschwinden; ein halbes Jahr lang werden beide Schilder übereinander hängen, Pieck jedoch wird mit roten Balken durchgestrichen.

Das will Frank Hübner nicht hinnehmen. Er tat sich mit anderen Anwohnern und Geschäftsleuten zusammen und reichte am Mittwoch dieser Woche Klage beim Verwaltungsgericht ein – amtsdeutsch „Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs“. Bereits Anfang der Woche war im Amtsblatt die Umbenennung, die die BVV Mitte im Dezember vergangenen Jahres beschlossen hatte, offiziell und rechtskräftig angekündigt worden. Die Hoffnung Hübners und seiner Mitstreiter, daß in der Sache noch gestern entschieden würde, erfüllte sich nicht.

Die Motive für seinen Widerstand gegen die Umbenennung, so beteuert Hübner, seien nicht politischer Natur. Er wehrt sich als Geschäftsmann und schickte dem Bezirk eine akribische Liste mit den Unkosten, die ihm durch die Umbenennung entstünden: Vorausschauend hatte er ein bis zwei Jahre im voraus Rechnungsbögen, Stempel und Aufkleber für 25.161 Mark bestellt – mit der alten Adresse. Jetzt fürchtet er um seine Existenz, denn seit der Wende geht der Umsatz stetig zurück.

Nachdem Mitte Juni klar war, daß von den ursprünglich von Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) geplanten elf Umbenennungen nur noch zwei politisch gegen die SPD durchsetzbar sind – die Wilhelm-Pieck-Straße und der Marx-Engels-Platz – wurde Hübner endgültig zum Aktivisten. Er schrieb an das Bezirksamt, die BVV, den Senat, sämtliche Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus – und biß auf Granit. Peter Armelin, Mitglied der Straßennamenkommission der BVV Mitte, ließ ihn wissen, daß man seine Argumente „sehr ernst“ nehme, der Beschluß aber nicht zurückgenommen werde: „Daß wir im Herzen Berlins nicht bereit sind, einen Mann zu ehren, der als Politbüromitglied der SED von Anfang an alles getan hat, in der damaligen Ostzone und danach in der DDR stalinistische Methoden durchzusetzen, kann doch nicht überraschen.“ Er warf „Hübner als Geschäftsmann“ vor, „daß Sie frühzeitiger erkennen mußten, daß man in Drucksachen mit der Bezeichnung Wilhelm-Pieck-Straße nicht in dieser Größenordnung investieren sollte“.

Doch der Geschäftsmann gab noch lange nicht auf. In einem Schreiben an das Tiefbauamt Mitte und an den Senat beklagte er sich über „die Dinokratie, in der wir leben“. Und spielte dabei auf eine tatsächlich fragwürdige Interpretation einer Umfrage unter Anwohnern an, die der Bezirk durchgeführt hatte. 211 Zuschriften waren an das Bezirkamt gegangen, davon waren 178 gegen eine Umbenennung. Flugs folgerte man daraus, daß die Mehrheit aller Anwohner nichts gegen eine Umbenennung habe. „Wir protestierenden Bürger hatten also nie die reale Möglichkeit, die Umbenennung zu verhindern“, sagt Hübner. „Das erschreckt mich.“

Der Bezirk sieht's mit Gelassenheit. Immerhin habe man sich mehrfach entschieden gegen den Senat gewehrt, der eine unabhängige Kommission zur Umbennung von Straßennamen eingesetzt hatte mit dem Ziel, mit dem sozialistischen Erbe im Osten gründlich aufzuräumen. So gründlich, daß selbst Ahnen der Sozialdemokratie wie August Bebel, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zunächst auf dem Index standen. Als die Kommission im März ihren Abschlußbericht vorlegte, waren noch elf Namen übrig.

Da schon eine ganze Reihe von Straßen umbenannt worden war, befand der Bezirk, daß es „dringendere Aufgaben“ gebe. Nur bei Pieck war man sich mit dem CDU- Senator einig: „Über Pieck ist mit uns nicht zu reden“, so Bezirksbürgermeister Gerhard Keil (SPD). Und während der Verkehrssenator wild entschlossen ist, wenigstens die zweite verbleibende Umbenennung – Marx-Engels-Platz in Schloßplatz – zum 1. Januar 1995 vorzunehmen, bremst Keil und verweist auf den Wettbewerbsentwurf für die Spreeinsel: „Es ist absolut unsinnig, einen vorläufigen Platz, der bald nicht mehr vorhanden sein wird, umzubenennen.“