Die weißen und die schwarzen Schafe

In Berlin stritten Historiker über die Rolle des Nationalkomitees Freies Deutschland im antifaschistischen Widerstand / Einen „Widerstand mit Persilschein“ könne es dabei nicht geben  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Als der Stalingrad-General Walther von Seydlitz-Kurzbach nach zwölf Jahren Kriegsgefangenschaft in Deutschland ankommt, wird er nicht mit Blumen und Freudentränen begrüßt. Schon im Zug nach Hannover bestrafen ihn die von Adenauer freiverhandelten Spätheimkehrer mit Verachtung. Der Ritterkreuzträger gilt als Aussätziger. Er wird als Kameradenschwein beschimpft und bis zu seinem Tod 1976 als Kollaborateur geächtet.

Denn von Seydlitz gehörte zu den Wehrmachtsführern, die ihre Namen im September 1943 unter den Aufruf „An die deutschen Generäle und Offiziere! An Volk und Wehrmacht“ gesetzt hatten. Er war Ranghöchster im „Bund Deutscher Offiziere“ (BDO) – einer Unterabteilung des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD) –, der nach Stalingrad Volk und Militär zum Kampf „gegen Hitler und sein Regime“ aufrief. Er hatte sich entschieden, die patriotische Variante der Stalinschen Deutschlandpolitik mitzutragen, eine Strategie die die Exil-KPD-Führer Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht entworfen hatten und die sich „Zusammenschluß aller antifaschistischen Kräfte“ nannte. Als Helden, die die deutsche Ehre retteten, gelten heute die Männer des 20. Juli. Aber müssen Pieck, Ulbricht, Seydlitz und all die Offiziere, die sich in der sowjetischen Gefangenschaft von Hitler absetzten, deshalb Verräter sein? Sind sie Männer, deren Bilder nichts in der Berliner „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ zu suchen haben sollten, weil sie dort, wie der Sohn des unglücklichen 20.-Juli-Attentäters Franz Ludwig von Stauffenberg behauptet, posthum „geehrt“ werden? Verwechselt Peter Steinbach, der wissenschaftliche Leiter der Einrichtung, die „Weihestätte“ mit einem „wertfreien“ Forschungsinstitut?

In diesen emotionalen Streit griffen am Mittwoch abend in Berlin acht Geschichtsprofessoren und zwei Zeitzeugen ein, um lichtende Schneisen zu schlagen. Vor 500 Zuhörern ging es um die Gewichtigkeit des NKFD und BDOs im Kampf gegen Hitler, um die grundsätzliche Frage, ob der Widerstand teilbar sei in einen „von innen und von außen“, und natürlich um Ulbricht und Pieck. Würde es nach Mannschaftsstärke gehen, stünde das Ergebnis fest: Die Portraits von Ulbricht und Pieck müßten entfernt, dafür aber das heute noch verfemte Nationalkomitee stärker in den Vordergrund gerückt werden.

„Lieber Herr Steinbach, nehmen Sie Ulbricht heraus“, appelierte der Schweizer Professor Walter Hofer an den Berliner Ausstellungsmacher. Denn Ulbricht habe nicht erst seit 1945, sondern auch schon davor eine „ganz trübe Rolle“ gespielt. Als Mitglied des Exekutivkomitees der Komintern habe er schon 1935 einen überparteilichen Widerstand gegen Hitler verhindert. Über Seydlitz hingegen könne man reden. Und so genau wie mit einem Seziermesser analysierte Alexander Fischer, Professor in Dresden: Die Mitglieder der Bewegung „Freies Deutschland“, seien aus sittlichem Gebot und Liebe zu Volk und Heimat Widerständler gegen Hitler und sein „Drittes Reich“ gewesen. Das Auseinanderdividieren von Widerstand im Reich und Widerstand hinter Stacheldraht sei unhistorisch und daher falsch. Aber um die bedeutende Rolle von Seydlitz zu betonen und mit ihm auch die des NKFD vor dem Hintergrund von Stalingrad, wäre es, so Fischer, „für den wissenschaftlichen Diskurs produktiv, Ulbricht und Piecks Rolle in die zweite Reihe zu schieben“. Andernfalls bestehe die Gefahr, daß die DDR als folgerichtiges Ergebnis des NKFD betrachtet werde – und das NKFD nicht als eine eigenständige antinazistische Bewegung.

Auf diese Differenzierung wollten sich der bayerische Ex-Kultusminister Hans Maier und der Politologe aus Passau, Heinrich Oberreuther, nicht einlassen. Hans Maier würde das NKFD und Mentor Ulbricht in ein historisches Museum verbannen wollen. Die Berliner Ausstellung sei kein „Dokumentationszentrum“, sondern eine eine „Gedenkstätte“. Und eine Gedenkstätte könne sie nur sein, „wenn sie die Menschen eint und nicht entzweit“. Und Oberreuther legte die moralische Meßlatte an. Die Motive und Absichten von Hitler-Gegnern müßten bei einer Bewertung des Widerstands eine Rolle spielen. Genau dies war aber ein Punkt, auf den der Bochumer Historiker Hans Mommsen immer wieder eindrosch. Zwar unterstütze er in diesem Streit Peter Steinbach, denn der Widerstand sei heterogen und nicht eindimensional gewesen, aber die Suppe habe sich dieser selber eingebrockt. Weil Steinbach die verschiedenen Strömungen auseinanderdividiert und nicht als Teil der „großen politischen Architektonik der Zeit“ präsentiert habe, lade er zum Moralisieren geradezu ein. Das Konzept von erbaulichen Gedenkstätten – und damit richtete er sich an Maier – sei im übrigen ein Rückfall in die 50er Jahre. Geschichte müsse interessant sein, und das sei sie nur, wenn die Menschen so dargestellt würden, wie sie waren. Nämlich nicht abstrakt und sortiert in schwarze und weiße Schafe.

Eine Postition, die auf sympathische Weise der US-Widerstandsforscher Klemens von Klemperer teilte. „Ich persönlich würde mir auch kein Bild von Ulbricht in das Schlafzimmer hängen“, meinte er, aber dennoch habe dieser im Widerstand eine wichtige Rolle gespielt. Wenn man an die Geschichte nur die moralische Latte anlege, dann müßten in der Gedenkstätte drei statt 20 Räumen ausreichen. Einen „Widerstand mit Persilschein“ könne es nicht geben. Ein Satz, der von den meisten der Zuhörern mit lautem Beifall quittiert wurde.