piwik no script img

Glanz, Goodwill, Gimmicks und Grauen

■ Das Sommertheater auf Kampnagel eröffnete mit vier sehr unterschiedlichen Premieren seine elfte Saison

Jan Fabre - Da un' altra faccia del tempo

Wenn man den Platz einer Rezension dazu verwendet, Jan Fabres Arbeit zu beschreiben, erreicht man leicht einen hohen Wirkungsgrad der Beeindruckung. In der bildlichen Nacherzählung seiner zuverlässigen Inspirationen erscheint das belgische Allround-Talent wie der Sinnstifter einer neuen international vagabundierenden Edel-Kunst. Von den formalen Gesichtspunkten her betrachtet – Raumbeherrschung, Dramaturgie, Komposition der Assoziationen zu einer ästhetischen Erzählung – verdient sich Fabre einen nahezu ungeteilten Applaus. Selbst seine Kontrastierung von traditioneller Perfektion (zum Beispiel Ballett) und gezügeltem Widerspruch (zum Beispiel Tanztheater) ist so komfortabel kalkuliert, daß daraus eine enorme integrative Kraft zwischen Opernwelt und Subkultur entsteht.

Aber ist Jan Fabre nicht vielleicht doch nur ein großer Zuckerbäcker? Ist die Kunst (oder die Künstlichkeit), mit der er Sinnlichkeit und Reflexion für die Bühne perfektioniert, wirklich kritisch motiviert? Oder ist sein Kampf zwischen widerstreitenden Begriffen wie Geist/Körper, Himmel/Hölle, Staat/Lust, Mann/Frau, Traum/Wirklichkeit, Ordnung/Entfesselung, wie er sie in Da un' altra faccia del tempo inszeniert, nur perfektes Design?

Es beginnt im Zwielicht: Eine strenge Formation ergreift sich schrittweise den Raum. In höchst konzentrierter Zögerlichkeit wird der Kubus zwischen Kettenwänden und Gaze zur Musik von Fabres kongenialem Komponisten Eugeniusz Knapik (Partita für Violine und Klavier) strukturiert.

Diese kontemplative Genauigkeit verwandelt sich im zweiten Teil in Luzifers Hofstaat. Tellerstapel werden hereingetragen – im folgenden verwendet als Sitz, Schuhe, Spielzeug, Ordnungselement und Donnerwetter – Marmeladengläser und Fliegenklatschen kommen dazu, ein Kreiselspiel beginnt, eine Matriarchatin führt Regiment, das Teufelchen (Antony Rizzi aus Forsythes Frankfurter Compagnie) reizt die Hysterie, ein irres Lachen der 15 Akteure läßt die Besinnlichkeit endgültig explodieren.

Hetzjagden, Don Quijotterien, Tötungen und Epillepsien, Alltagsszenen und Kindisches, geführt und moderiert vom gefallenen Engel, beschreiben ein sanguinisches Bild irrationaler Widerstände gegen Sinn, Ordnung und Vertrauen. Mittelalterlich überreich und ironisch-moralisch durch die Ausmalung von Exzessen entwickelt Fabre hier ein Blick unter das Sofa der Aufgeklärtheit, wie es weit weniger gesittet auch von Reza Abdoh geleistet wird.

Schließlich werden Els Deceukelier und Marc van Overmeir mit roter Marmelade in Blutstatuen verwandelt, mit Federn beklebt und führen beinahe schüchtern das Element Beziehung ein. Endlich bricht das Inferno vollständig los, satanisches Gebrüll, kultivierte Panik und ein Beinahe-Kuß beenden den zweiten Teil.

Es folgt der Schlußgang, ein konservatives Ballett im romantischen Geist der abstrakten Moderne (Musik: Sofia Gubaidulina), das von des Teufels fröhlichen Störungen angegriffen wird. Ganz in Rot gehalten werden die bereits vorher formulierten Motive nicht ohne Längen ausgereizt. Nach dem spektakulären Teller-Regen betritt die dreifache weiße Unschuld das Scherbenmeer und offeriert den Beginn einer neuen Struktur.

Nun zurück zum Stichwort Zuckerbäcker: Das lebende Denkmal Jan Fabre ist nämlich ein so perfekter Meister des richtigen Maßes, daß sich alle behauptete Schärfe in Versüßung erschöpft. Sei es schwuler Analverkehr oder die Verjüngung des klassischen Balletts mit dem Künstlerwitz der Achtziger, Fabres Zaubergriff führt immer zum Guten, Wahren, Schönen und somit ins gedankliche Museum. Ob dies nun wirklich das Bäckermuseum sein muß, sei dahingestellt. Aber wenn „hehre Kunst“ nur darum attackiert wird, um wieder „hehre Kunst“ zu bekommen, dann ist Kritik schnell Geselle der Erhabenheit. Und die opulente Synthese dieser beiden führt in der vollendeten Form geradeaus auf den Feinkosttresen zu. Till Briegleb

Teatro Salvador - Recentes Desejos Multilados

Die Funktion eines interkulturellen Projektes sollte eigentlich sein, daß man die unterschiedlichen Interpretationen eines gemeinsamen Konzeptes motiviert findet. Bei diesem Projekt, für welches das Sommertheater den portugiesischen Choreografen Joao Fiadeiro mit brasilianischen Tänzern in Salvador zusammenbrachte, ergab sich die Notwendigkeit dieser Konstruktion für den Zuschauer nicht. Das Thema „verstümmelte Begierden“ verwies weder auf etwas europäisches noch auf etwas südamerikanisches sondern stellte sich einfach als eine ortlose Choreografie dar. Hatte Fiadeiro mit seiner letzten Arbeit vor zwei Jahren noch Aggressivität und Entschlossenheit gezeigt, so blieb dieses Stück voller halbgarer Momente ein eher affektiertes Spektakel ohne stringente Argumentation. Wenige schnelle und spannungsreiche Momente erschöpften sich schnell in einer Menge unansprechender Verkrampfungen. Abgesehen von der schönen Musik von Joao Lucas zeigte dieses Projekt eher den Unsinn von völkerverständigenden Kunstprojekten als deren Notwendigkeit. Till Briegleb

NVA - Sabotage

Zu nachmitternächtlichen Stunde begann dann NVA, eine Performance-Künstler-Gruppe, die sich aus den britischen Metall-Schlagwerkern Test Dept. ergeben hat, ihre Installations-Disco Sabotage. Nachdem die Kohlezeichnungen uralter Gesichter von Ken Currie, die im Foyer zu psychedelischer Musik auf eine große Leinwand projeziert wurden, einleitende Geschichten von Würde und Weisheit erzählt hatten, begab sich das Publikum in das eigentliche Kunst-Musik-Labor. In der Probebühne der Halle 4 hatte die Gruppe ihre Kommandozentrale installiert. Von dort aus steuerten sie die technischen Spielereien und übertrugen auf Leinwände und Monitore das wenige Geschehen.

Zunächst war das Graham Cunningtons sehr persönliche Pain Installation. Cunnington leidet seit Geburt an rheumatischer Arthritis. Von seinem mit Metallwänden eingekleideten Podest erzählte er mit brutaler Ehrlichkeit sein von Schmerzen geprägtes Leben.

Weiter ging's mit einem jungen Mann im grünen Kittel auf der anderen Seite des Podestes. Dr. Tydeman, alltags praktizierender Arzt, wählte einen Zuschauer namens Achim aus. Er wurde in ein käfigartiges Versuchslabor gelegt, verkabelt und diverse seiner Körperfunktionen gemessen. Doppelt schade um den Effekt: die Bildschirme mit den Meßergebnissen konnte nur ein Teil der Zuschauer sehen, und der Freiwillige Achim war leider viel zu cool, als daß der Doc phänomenale Werte von den Monitoren seiner medizinischen Geräte hätte ablesen können.

Das Folgende beglückte nur noch die Tanzwütigen. DJs legten Ambient- und Industrial-Musik auf und Mitglieder von Test Dept. trommelten auf Metalldrums. Ein ferngesteuertes Drahtviech im Feinrippunterhemd vom Hamburger Künstler Nik Baginsky tanzte dazu im Wiegeschritt über die Tanzfläche. Auf Leinwänden wurden Dias von Zellen, Embryos und Juri Gagarin eingeblendet. Spätestens jetzt spaltete sich das Publikum in zwei Hälften: Die einen hatten für 26 Mark Eintritt eine Theaterperformance erwartet und waren über den Discoabend mit Showeinlagen schlicht enttäuscht, die anderen, der tanzende Rest, machten das Beste daraus und amüsierten sich ohne eine Spur von Müdigkeit bis in die frühen Morgenstunden.

Katharina Frier

Societas Raffaello Sanzio - Masoch

Über dieses Projekt viel zu sprechen erübrigt sich. Es ist vorbei, gottseidank, und wir hoffen, wir müssen diese Truppe nie wieder sehen. Die aufwendige Lächerlichkeit, mit der in einer blechernen Hütte das Thema „Masochismus“ in einer Dreiviertel-Stunde abgehandelt wurde, spottet jeder Beschreibung. Drum: Schweigen!

Till Briegleb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen