■ Normalzeit
: Letzte Details über das Terrorregime

Stephan Schwarz gehörte zu den letzten Absolventen des Roten Klosters in Leipzig. Unter ihnen war er ein bis heute beliebter OibE. Nach der Wende fing er in der Ost-taz an, die entließ den „Stasi-Mann“ jedoch. Seitdem schreibt er für verschiedene Haupt- und Randstadt-Medien Reportagen aus dem Berliner Umland. Diese wollte der Lektor der Elefanten Press neu veröffentlichen. Herausgekommen ist dabei ein Roman: über das Dorf Wendelow, wie es einmal von einem westdeutschen Klebeproduzenten fürchterlich geleimt, dann aber von „sieben Aufrechten“ (teils Altlasten, teils Neualkoholiker) wieder befreit wurde.

Zu dem Haupttext, der mit einer sauberen Liebesgeschichte endet, gibt es viele Randbemerkungen in Form von Fußnoten sowie eine Danksagung am Schluß, u.a. an seine neu erworbenen Kinder, „für ihr ständiges abendliches Rausgelatschtkommen und Pullernmüssen“. Und dann wird auch kräftig „Erinnerungsarbeit geleistet“, „Vergangenheit aufgearbeitet“, was das Buch zu einem absoluten Muß für jede Enquete-Kommission macht! Seite 27 z.B.: „Die Kunst des Tuschelns gedeiht im Kommunismus zu fauler Blüte. Wo offene Rede nur Dekor ist, wird die getuschelte Absprache zum Machtinstrument. Tuscheln – einst die letzte Waffe der Unterdrückten in der Zeit vor dem Lauschangriff, degeneriert unter Lenin und seinem Nachfolger Stalin zum Instrument des Terrors...“ Oder – Seite 38, über den Besuch des Generalsekretärs in den Waschräumen des VEB Umformtechnik am 12. Februar 1988: „Honecker erschien gegen 17 Uhr mit einem nassen, zusammengedrehten Handtuch im Duschraum, peitschte es fröhlich dem Zerspaner Manfred Wendtland auf den Hintern und frug: ,Na, du alte Gurke? Plan erfüllt?‘ Das folgende Gespräch verlief in einer gereizten und aggressiven Atmosphäre, da Wendtland erbost zurückschnauzte: ,Sag mal, spinnst du, Vorsitzender des Staatsrates und Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands?‘“

„Dusty“, so der Autorendeckname von Schwarz, recherchierte bis in die letzten Arschfalten der dörflichen Ortschronik – Seite 53: „Unter anderem wäre die Grundorganisation der SED in Wendelow ohnehin in Auflösung übergegangen. Kurt Gerber, der stellvertretende LPG-Vorsitzende, wollte eigentlich am Folgetag aus der Partei wegen der unerträglich gewordenen Korruption ausscheiden, womit die Statutforderung, mindestens drei Mitglieder, das Ende der SED in Wendelow besiegelt hätte. Kurt Gerber verzieh Hannes Kuhn sein vorschnelles Aufgeben nie, blieb er doch so eines der unverbesserlichen ,letzten Mitglieder‘.“

Mir haben des Autors Abschöpfungen von DDR heute- Phänomenen – aus der „City- Light“-Bar des Pastritzer Wendenhofs – am besten gefallen, wo, am „Tag des internationalen Cocktails“, die Wendelower Bauern, die wegen des feuchten Wetters nicht hinaus aufs Feld konnten, „mißmutig vor ihren Mixgetränken saßen“. Ab und an rief jemand zur Theke hin „Mach mir auch noch mal so'n ,Haiti-Gelumpe‘!“ Der Tag des internationalen Cocktails war bei den Bauern nicht sonderlich beliebt, da es dann weder Bier noch Klaren gab, aber sie nahmen es hin, „da sie wußten, daß eine ausgeklügelte Marketingstrategie in Konkurrenz zu Spirituosen- und Zeitschriften-Werner und ein vor langer Zeit eingegangener Exklusiv-Vertrag mit einer mächtigen Edel-Likör-Gesellschaft den Wirt, Fred, dazu zwangen.“ Helmut Höge

Wird fortgesetzt