Sanssouci: Vorschlag
■ Die unfreiwillige Komik nicht mehr ganz lebensnaher fünfziger Jahre – „Alpha Beta“ in der Brotfabrik
Wer hat das letzte Wort? Sie oder er? Oder geht es weiter bis in alle Ewigkeit? Das befürchtet zumindest der verzweifelte Ehemann: „Ich sag' alpha, du sagst beta, ich sag' gamma, du sagst delta...“ Mr. Elliott ist nicht ungebildet. Er liest die Financial Times und kommt abends mit einer Aktentasche nach Hause. Es könnte etwas werden aus dem Sproß der irischen Arbeiterklasse. Wenn er nur nicht in der Ehefalle säße...
„Alpha Beta“ des Iren E.A. Whitehead zeigt drei Szenen einer Ehe. Immer ist am Anfang ein Partner noch gut gelaunt und versöhnlich gestimmt, der andere dagegen aber mürrisch und abweisend. „Ich war heute sehr fleißig“, sagt Mrs. Elliott stolz und weist auf die Wand, die sie frisch gestrichen hat. Der Mann grunzt bloß und holt die Whiskeyflasche aus der Küche. Später spielt er dann aber munter Gitarre, während sie das Kaffeegeschirr auf den Tisch knallt. „Na, was gibt's?“ erkundigt er sich in ironischem Tonfall, „Frühstück oder eins in die Fresse?“
Martin Joost spielt Mr. Elliott als jungen Draufgänger, grob, aber im Grunde liebenswert. Auch das Stück, das die Sympathien der Zuschauer zunächst auf die vernachlässigte Frau lenkt, stellt sich nach und nach auf seine Seite. „Ich will ehrlich sein“, verlangt der Mann immer wieder, der die „Farce einer Farce einer Ehe“ beenden will. Aber Vernunftgründen gegenüber ist seine Frau taub, ebenso wie sie seiner Ironie nichts entgegenzusetzen hat.
Familie Elliott (Beatrice Ehrler, Martin Joest und ein namenloser Zwerg) in „Alpha Beta“ Foto: Matthias Kromphardt
Beatrice Ehrler als junge Hausfrau ist der Inbegriff von Zerbrechlichkeit und Schüchternheit. Doch unter ihrer Schutzbedürftigkeit verbirgt sich ein eiserner Wille. Ihr herber Mund kann rührend lächeln. Aber die Art, wie sie die Kiefer zusammenpreßt und stumm und blicklos vor sich hinstarrt, ist furchteinflößend. Im dritten Akt hat sie zwei blaugeschlagene Augen, obwohl ihr Mann nicht eigentlich gewalttätig ist und auch schon nicht einmal mehr bei ihr wohnt. Hier weicht die Inszenierung von Santi Bronnert vom Text ab, wohl um das Übergewicht des „vernünftigen Mannes“ über die „hysterische Frau“ nicht zu groß werden zu lassen.
Ansonsten hält sich die Aufführung eng an das Stück und das von ihm vorgegebene Milieu. Die Tütenlampen im Wohnzimmer der Elliotts signalisieren fünfziger Jahre. Hinter den Fenstern liegt Kinderspielzeug herum, an den Wänden hängen ein großes schwarzes Kreuz und ein Familienfoto. Das muß Mrs. Elliott aufgehängt haben, die unerbittliche Vertreterin des gestrengen „Sittengesetzes“.
Freilich gilt dieses Gesetz auch im gottesfürchtigen Irland heute längst nicht mehr in der Schärfe der Fifties. Und so bleibt etwas unklar, warum „Alpha Beta“ überhaupt gespielt wird. Wenn Mr. Elliott fordert: „Das System muß sich ändern“, so ist das fast schon unfreiwillig komisch. Und so spannungsreich die Dialoge auch sind: Die grausame Präzision der Wortgefechte von „Wer hat Angst von Virginia Woolfe?“ – dem Stück, das sich automatisch zum Vergleich anbietet – erreichen sie an keiner einzigen Stelle. Miriam Hoffmeyer
29., 30.7. um 20 Uhr im Schlot, Kastanienallee 29, Prenzlauer Berg (208 20 67).
5., 6., 12. und 13. August jeweils 20 Uhr in der Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Prenzlauer Berg (471 40 02).
In unserer Sanssouci-Spalte am vergangenen Samstag berichteten wir über die Ausstellung „Kunst kennt keine Behinderung“ am Alexanderplatz. Dabei haben wir leider den Namen des Künstlers, dessen Holzskulptur „Maske“ (1994) abgebildet worden war, unterschlagen. Er heißt Stanislaw Spiewak.
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