Erstaunlich

■ betr.: „Ein leiser Auftritt des Kanzlers zum 20. Juli“, taz vom 21.7.94

[...] Diese Rede steht ähnlich wie der Bitburg-Besuch und die Vorgänge um die „Neue Wache“ in der Tradition der neuen deutsch-nationalen Geschichtsdeutung. Erstaunlich ist es schon, mit welchen schmierigen Phrasen aus dem Widerstand gegen den nationalsozialistischen Diktator Hitler plötzlich „deutscher Widerstand“ geformt werden soll. Wir sollen uns nach Kohl nicht „auf die Frage beschränken, wogegen er (der Widerstand) sich gerichtet hat. Wir müssen uns auch fragen, wofür die an ihm Beteiligten eingetreten sind“. Im Klartext: Wenn der Widerstand für das „heilige Deutschland“ geleistet wurde, dann war er legitim und hat Vorbildcharakter – und „dies war das oberste Ziel der allermeisten“. Wer damit nicht länger geehrt werden soll, ist klar. Diese seichten, doppelbödigen Formulierungen stellen meines Erachtens eine Beleidigung all der kommunistisch oder sozialistisch denkenden Menschen dar, die in den KZs ihr Leben lassen mußten.

[...] Solange Kohl, der vor nicht allzu langer Zeit wegen der sogenannten „Asylantenschwemme“ den „Staatsnotstand“ ausrufen wollte, aus dem 20. Juli einen nationalistisch durchdrungenen Großkampftag der CDU machen kann, gedenke ich an diesem Tag lieber der ersten Mondlandung. [...] Stefan Wirner, Berlin