: „Schon allein sie überall zu sehen macht Angst“
■ Die Bevölkerung der Region um Goma empfindet die Anwesenheit der ebenfalls aus Ruanda geflüchteten, nach wie vor bewaffneten Soldaten des alten Regimes als bedrohlich
Zu Tausenden marschieren sie die Straßen entlang, inmitten des endlosen Zuges entkräfteter Flüchtlinge: Soldaten der ruandischen Armee, in ihren Militärstiefeln und grün-schwarzen Uniformen. Von 40.000 geflüchteten Militärs gehen die zairischen Behörden aus, an immerhin mindestens 20.000 glaubt auch das UNO- Flüchtlingswerk UNHCR.
Geschlagen und gedemütigt sehen die meisten Soldaten nicht aus, eher so, als fühlten sie sich Herr der Lage. Sie wirken bedrohlich – auch für die ortsansässige Bevölkerung. „Wir fürchten uns sehr“, sagt Abbé Sikuli Melchisedech, Rektor eines Priesterseminars etwa 20 Kilometer nordwestlich von Goma. In dieser Gegend hält sich der größte Teil der ruandischen Armee auf. „Diese Soldaten sind unberechenbar, vielleicht verhalten sie sich während der ersten Tage ruhig, aber schon allein sie überall zu sehen macht Angst.“
Und es gibt durchaus Grund zur Besorgnis: In einem Lager für Kriegswaisen wurde nach Informationen einer Mitarbeiterin des Camps ein ruandischer Soldat mit einer Handgranate festgenommen. „Unsere Sicherheitslage ist katastrophal“, erklärte die zairische Helferin. „Bitte erwähnen Sie meinen Namen nicht, ich habe selbst Angst um mein Leben.“
In dem kleinen Dorf Nyabyunyu nordwestlich von Goma sollen drei Einwohner von ruandischen Militärs mit Messern getötet worden sein. Sie seien von den Soldaten für Tutsi gehalten worden, erzählte der Ortsvorsteher den Priestern des nahe gelegenen Seminars. In Goma fallen jede Nacht Schüsse. Wer sie abfeuert und aus welchem Grund, das bleibt im dunkeln. Fest steht nur: Die Region klirrt vor Waffen. „Tausende und Abertausende ruandischer Soldaten sind mit ihrer Munition über die Grenze gekommen“, sagt Panos Moumtzis vom UNHCR. Verglichen mit dem Schicksal der anderen Flüchtlinge, geht es vielen ruandischen Soldaten vergleichsweise gut: Sie sind fast die einzigen, denen es gelungen ist, Busse und Lastwagen über die Grenze zu schaffen. Die Fahrzeuge, voll besetzt mit Militärs, bahnen sich einen Weg durch den Strom der Notleidenden. Ende letzter Woche bemühten sich Vertreter internationaler Organisationen darum, die Wagen für den Transport von Hilfsgütern zu bekommen. Aber wer ist ihr Ansprechpartner in den Reihen der ruandischen Armee?
Es ist schwer zu erkennen, in welchem Umfang noch eine gewisse Ordnung oder gar eine Kommandostruktur herrschen. Es gibt Anzeichen, die für eine solche Ordnung sprechen. So bildet sich vor einem Tisch unter freiem Himmel am Straßenrand eine lange Schlange von Soldaten. Der Mann am Tisch, offenbar ein Offizier, verteilt Zigaretten. Je größer der Zusammenhalt der geschlagenen Armee noch ist, desto größer die Gefahr, daß die Militärs sich neu formieren und den Krieg fortsetzen. Zairische Soldaten sind jetzt damit beauftragt worden, ihre Kollegen aus Ruanda zu entwaffnen. Wie erfolgreich diese Aktion ist, läßt sich jedoch im allgemeinen Chaos nicht überprüfen. Ohnehin ist unklar, welche Haltung die Regierung von Zaire zu den gestürzten ruandischen Machthabern einnimmt – immerhin gehörte Zaire zu den letzten Verbündeten des getöteten Präsidenten Juvénal Habyarimana.
Die Vertreter des alten Regimes scheinen sich im Nachbarland in Sicherheit zu fühlen. Als ein UNHCR-Sprecher auf einer Pressekonferenz in Goma die Entscheidung seiner Organisation verkündete, die Flüchtlinge zur Heimkehr nach Ruanda aufzufordern, meldete sich plötzlich ein Mann zu Wort. Er sei der ruandische Arbeitsminister Jean de Dieu Habineza. Seiner Meinung nach sei eine Repatriierung gänzlich unverantwortlich. Es bleibt abzuwarten, welche Wirkung Mundpropaganda dieser Art zeigen wird. Im Interesse derjenigen, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren, kann es nicht liegen, wenn sich die große Mehrheit der Flüchtlinge auf den Heimweg macht. Aber das Mißtrauen gegen die siegreiche Rebellenbewegung sitzt auch bei den anderen, die aus Ruanda entkommen sind, tief. „Das Zusammenleben, die Versöhnung wird schwierig werden“, meint der Priester Silas Ngerero, der im Juni aus der ruandischen Missionsstation Kabgaye geflüchtet ist. „Ich glaube, daß auch die, die jetzt im Ausland leben, in Verhandlungen einbezogen werden müssen, um einen Kompromiß zu finden, wie die Flüchtlinge zurückgebracht werden können. Die Vermittlung internationaler Organisationen reicht nicht, um das Überleben der Bevölkerung zu garantieren.“
Die alten Feindschaften bestehen auch nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen weiter. In einem Lastwagen, der am Straßenrand geparkt ist, haben ruandische Soldaten gut sichtbar ein Porträt von Juvénal Habyarimana aufgestellt. Viele Militärs tragen noch immer Ansteckknöpfe mit dem Bild des getöteten Präsidenten. Der alte Geist lebt fort. Bettina Gaus, Goma
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen