Lauter Pazifisten in Tokio

■ Liberaldemokraten erstmals bei Kongreß der Opfer von Hiroshima dabei

Tokio (taz) – Am Ende einer Woche, die in Japan alle politischen Paradigmen der Vergangenheit auszulöschen schien, setzte die Liberaldemokratische Partei (LDP) der Entwicklung die Spitze auf: „Weil wir nun mit den Sozialdemokraten eine Koalition bilden, sollten wir für die Aktivitäten des Koalitionspartners das größte Verständnis zeigen“, hieß am Samstag aus der Zentrale der langjährigen Regierungspartei. Damit begründete die LDP ihre erstmalige Teilnahme am Kongreß der Atombombenopfer in Hiroshima, der diese Woche im Zusammenhang mit dem Jahrestag des ersten Atombombenabwurfs von den Sozialdemokraten organisiert wird. Bislang war der Protest der Atombombenopfer der LDP stets ein Dorn im Auge, er galt als pazifistisch und naiv. Erst die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten und deren Zugeständnisse in den wichtigsten Fragen der Verteidigungspolitik erlaubte der LDP eine parteiideologische Wende.

Die geläuterte LDP der erst drei Wochen alten Regierungskoalition sieht die Welt nun anders: „Weil Japan das einzige Opfer von Atombomben war, müssen wir die Forderungen nach einem Verbot von Atom- und Wasserstoffbomben ernst nehmen“, verkündete Generalsekretär Yoshiro Mori. In einer Grundsatzentscheidung hatte sich die LDP-Führung zuvor gegen alle Forderungen nach einer Verfassungsänderung ausgesprochen und damit den Gewaltverzicht (Artikel 9) in der japanischen Verfassung bestätigt. Auch das galt als Gegenleistung für die Bereitschaft des sozialdemokratischen Premierministers Tomiichi Murayama, die japanische Armee als verfassungskonform anzuerkennen und die bisherige Verteidigungspolitik der LDP fortzuführen. Entsprechende Versicherungen hatte Murayama erst in den vergangenen Tagen vor dem Parlament gegeben. Die Überlebenschancen der ersten „Großen Koalition“ in Tokio wurden deshalb schon am Wochenende als besser denn je eingeschätzt. Georg Blume

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