Traum von intakter Nachbarschaft

■ Ralf Lange untersucht die städteplanerische Geschichte des Wiederaufbau Hamburgs

Als Hamburg 1943 in Schutt und Asche lag, erhielt der Hamburger Architekt Konstanty Gutschow von Albert Speer den Auftrag, die Wiederaufbauplanung der Hansestadt zu entwickeln. Der im Generalbebauungsplan von 1944 von ihm entworfene Grundgedanke besagte, die Stadt in „einzelne zellenhafte, zu erlebende Siedlungsgebilde“ zu zerlegen. Als „die natürliche Wachstumszelle wird die politische Ortsgruppe betrachtet“, so Gutschow, die mit circa 6000 Mitgliedern eine geschlossene Einheit bieten sollte.

Auch wenn Gutschow nach Kriegsende in Hamburg kein Bein mehr auf den Boden bekam, so erinnerten die Konzepte der Nachkriegsplanung zum Wiederaufbau doch stark an die Leitgedanken von Gutschows Planungsstab. Die berühmte „aufgelockerte und gegliederte Stadt“, der städtplanerische Fanfarenstoß der Nachkriegsmodernisten schlechthin, der in Hamburg konsequent wie kaum woanders in Deutschland verwirklicht wurde, unterschied sich im Wesen nicht von Gutschows Entwürfen. Statt „Ortsgruppen“ hieß es nun „Volksschuleinheiten“, der Begriff „Zellen“ wurde wieder abgelöst von der „Siedlung“, aber die Struktur korrespondierte doch erheblich.

Von diesem Kontinuum ausgehend beschreibt Ralf Lange in seinem Buch Wiederaufbau und Neuplanung 1943-63 das Werden des Nachkriegs-Hamburg im Sog überarbeiteter Konzepte der klassischen Moderne. Die damalige Entscheidung, das alte Hamburg nicht zu rekonstruieren, sondern im Geist der Charta von Athen und Siedlungskonzepten der Vorkriegszeit neu zu strukturieren, wird in ihrer epochemachenden Wirkung umrissen – einer Wirkung, die heutige Stadtplanung als Urbanitätsverlust erkennt und auf ihre Art zu reparieren versucht (Stichwort: Verdichtung).

Von der Innenstadtplanung mit dem Durchbruch von Ost-West- und Domstraße zu den Reißbrett-Quartieren wie in Altona, Eimsbüttel, Barmbek oder am Stadtrand bis schließlich zum Beginn der 60er Jahre, wo das Konzepte der aufgelockerten Stadt seine Kehrseite immer deutlicher zeigte und man wieder mit Blockrandbebauung (Steilshoop) begann, reicht das Spektrum der Betrachtung.

Lange sortiert die Materialfülle in Hinblick auf eine bessere Verständlichkeit der damaligen planerischen Motive, deren Resultate man heute an vielen Stellen doch sehr gerne ungeschehen machen würde. Das Beispiel Neu-Altona, wo unter Leitung von Ernst May und Werner Hebenbrand eine als vorbildhaft erachtete Siedlung mit Riegel- und Punktbauten, Distanzgrün und autogerechter Infrastruktur entstand, ist eine derartige Wunde, die sich nicht mehr schließen läßt. Vorraussetzung für die Neue Heimat auf dem überwiegend zerstörten Gebiet zu investieren, war die Beseitigung der dortigen „Slums“, womit jene gründerzeitlichen Wohn- und Gewerbereste gemeint waren, denen man heute die Identitätsstiftung gesunder Quartiere zuschreibt. Stattdessen entstand hier eine Siedlung, die man kaum noch als zusammengehörig empfinden kann und die ihre (letztlich stadtfeindliche) Vision von intakten Nachbarschaften und wohnlichen Stadtlandschaften wahrscheinlich nie erfüllt hat.

Zwischen der Ehrenrettung der am Wiederaufbau beteiligten Architekten und einer verhaltenen Kritik an dem rigiden Willen zum Zerstören gewachsener Strukturen, um ein soziologisches Konzept von Städtebau zu verwirklichen, bewegt sich die Untersuchung Langes. Mit Blick auch in die Seitenarme der Hamburger Architekturgeschichte läßt Lange hier eine Zeit wieder plastisch werden, deren entscheidende städteplanerische Bedeutung gerne verdrängt wird, indem man sich auf wenige herausragende Bauten Hamburger Nachkriegsmodernisten beschränkt.

In einem thematisch gegliederten Bildteil und mit Dokumente und Biografien der prägenden Hamburger Nachkriegsarchitekten kommt aber auch der architektonische Aspekt nicht zu kurz. Da der Autor allzuviel Fachjargon vermeidet, läßt sich der Band jedem empfehlen, den die Stadtgeschichte Hamburgs im Wiederaufbau interessiert.

Verlag Langewiesche, 360 S., 652 Abb., 98 Mark (Subskriptionspreis bis 1. Oktober, danach 128 Mark)

Noch einmal hingeweisen sei in diesem Zusammenhang auch auf den liebevoll gestalteten Katalog zu der Architektur-Ausstellung Eine Stadt braucht Luft im Barlach-Haus. Auf losen Blättern in einem Faltkarton finden sich Biografien der Kerngruppe Hamburger Qualitätsarchitekten der Nachkriegszeitvon Hermkes und Streb bis Nissen und Trautwein sowie die (auch in der Ausstellung erhältlichen) kurzen Beschreibungen exemplarischer Bauten dieser Herren. Leider enthält die Sammlung außer Porträts keine Abbildungen, was den Gebrauchswert als Nachschlagewerk stark reduziert. Als Kartenspiel zur Hamburger Baukultur 1945-65 ist das hübsche Mäppchen trotzdem ein Gewinn.

Till Briegleb