Am liebsten „unwürdige Greisin“

■ In zehn Jahren wird ein Drittel aller BremerInnen über 60 jahre alt sein / Die neuen Alten kommen / Eine Studie des Sozialressorts zum „Altenplan“

„Husch, husch in die Urne – nee, das wollen wir nicht.“ Karin Stieringer, Ex-CDU-Abgeordnete, und in der Bremer Seniorenvertretung aktiv, ärgert sich heute noch über den Satz, den sie vor ein paar Jahren von einem Jüngeren gehört hat. „Weil die Alten nicht schnell genug aus dem Weg gegangen sind.“ Aus dem Weg, das kommt nicht mehr in die Tüte, denn jetzt kommen die neuen Alten, sagen sie selbstbewußt – nur die Stadt Bremen ist kaum auf sie eingestellt. Gestern stellte das Bremer Sozialressort die ersten Ergebnisse seines Altenplans vor, und zwei Vertreterinnen der Seniorenvertretung nahmen dazu Stellung.

Der Altenplan, das ist eine echte Fleißarbeit der Behörde. Im Dezember letzten Jahres hat sie ihre altenpolitischen Leitlinien in 15 hehren Thesen vorgelegt. Jetzt folgte der zweite, der demographische Teil. Im Herbst sollen dann die konkreten Maßnahmen vorgestellt werden. Da hat die Behörde noch einiges zu tun, wenn sie die Stadt auf die neuen Alten einstellen will. Denn die werden immer mehr. Von 554.000 BremerInnen sind 125.000 älter als 60 Jahre, davon 46.000 über 75 Jahre. 125.000, das ist knapp ein Viertel. Damit nimmt Bremen die Spitzebnposition unter allen Bundesländern ein. Und der Anteil steigt: In zehn Jahren werden es 150.000 über 60 Jahre sein (30 Prozent), und im Jahr 2030 haben sich die Alten mit Riesenschritten der absoluten Mehrheit. Dann werden 190.000 Alte in der Stadt sein, rund 40 Prozent.

Schon die nackten Zahlen vermitteln die Dramatik in der Bevölkerungsentwicklung, Dramatik angesichts leerer Kassen. Da treffen sich die Sparzwänge mit den altenpolitischen Vorstellungen der Seniorenvertretungen: Die Alten sollen so lange wie möglich so selbständig wie möglich bleiben. Pflegeheime, Betreuung rund um die Uhr, das macht die alten Menschen vielfach zu Objekten und kostet furchtbar viel.

„Die unwürdige Greisin, das ist mein Ideal“, sagt Karin Stieringer. „Es gibt einen Hang, den Älteren die Entscheidungsfreiheit zu nehmen.“ Da wird die Oma unter Druck gesetzt, das Häuschen an die Kinder zu überschreiben, oder die Jüngeren beschweren sich, wenn sich Oma eine neue Küche kauft. „Die ist doch schon so alt.“ Karin Stieringer, als Rechtsanwältin mit derlei Fällen wohlvertraut: „Neulich riefen mich welche an, die sagten, ich müßte unbedingt etwas machen, ,die Oma verschleudert unser Erbe'.“ Diese Klienten habe sie dann doch abgewiesen, dabei ist sie sicher: Wenn die Kinder mit Liebesentzug drohen, dann kuschen die meisten Alten, „da kann ich quasseln soviel ich will.“

Daß es meist die alten Frauen sind, die immer wieder als Beispiele für die Probleme der Alten herhalten müssen, das ist kein Zufall. Das Alter ist meist weiblich. Fast zwei Drittel der Alten sind Frauen, allerdings mit abnehmender Tendenz. Wenn das Alter noch mehrheitlich weiblich ist, die Altersarmut ist es fast zu hundert Prozent. Es sind fast ausschließlich Frauen, die weit unterhalb der Armutsgrenze leben. Frauen, die wegen der Kinder nur eine löchrige Erwerbsbiographie vorweisen können erreichen nun mit ihren Rentenansprüchen noch nicht einmal den Sozialhilfe-Mindestsatz. Emmi Brüggemann, wie Karin Stieringer im Vorstand der Seniorenvertretung: „Die kaufen sich dann lieber Katzenfutter, als Sozialhilfe zu beantragen.“ In der Bremer Statistik lesen sich solche Fälle so: „12,8 Prozent der Seniorenhaushalte (über 65 Jahre) hatten 1990 ein Nettoeinkommen von unter 600 Mark monatlich, weitere 19,7 Prozenmt liegen zwischen 600 und 1.200 Mark im Monat.“

Es sind nicht allein die materiellen Unterschiede, die das Altern zwischen Männern und Frauen so unterschiedlich machen. Die Männer hadern, die Frauen fügen sich drein. Männer stürzen sich nochmal in Aktivitäten, Frauen selten, verwitwete Männer heiraten eher nochmal, Frauen sehr viel seltener, gleichzeitig tun sich Männer aber auch viel schwerer mit dem Ruhestand. Und weil sie in der Regel viel unselbständiger sind als die Frauen, geben die Männer sich auch viel schneller einem Pflegeheim hin. Frauen halten da viel länger in den eigenen vier Wänden durch. Doch für vieles, was man älteren Männern noch locker zutraut, gelten vergleichsweise junge Frauen schon als zu alt. Die magische Grenze nach Emmi Brüggemann: „So ab 55.“

Menschenwürdiges Leben im Alter, das hat viel zu tun mit Kooperation, mit gegenseitiger Hilfe. Darin sind sich Seniorenvertretung und Behörde einig. Die zu organisieren ist schwer, es dauert, bis Begegnungsstätten auch wirklich angenommen werden. Emmi Brüggemann: „Es ist sehr schwierig, Alte zusammenzuführen. Die Einsamkeit, dazu ist uns noch nicht viel eingefallen.“

Die jüngsten Zahlen stammen noch von der Volkszählung 1987. Damals lebten 43 Prozent der älteren Menschen alleine, 46 Prozent in zwei-Personen-Haushalten. Klar sind die Forderungen der Alten an die Stadt, den Servivce für Alte auszubauen – von mehr Plätzen in Tagesbetreuungen für Altersverwirrte bis hin zu altengerechten Singlewohnungen in den Stadtteilen, in denen die Menschen alt geworden sind – doch neben aller materieller Absicherung bleibt die Bewußtseinshürde. Alte trauen sich immer noch viel zu wenig zu, als daß sie ihre Würde selbst artikulieren und verteidigen könnten, trotz der kämpferischen neuen Alten, die jetzt auf den Plan treten. Das würde die Behördenplanung an eine gesellschaftliche Diskussion anbinden. Emmi Brüggemann: „Die reden sich künstlich ein, daß sie alt sind.“ J.G.