: Traum oder Alptraum?
■ Die seit 1990 leerstehende Villa Lemm wird versteigert / Schätzpreis: 20 Millionen Mark / Die Stadt Berlin hatte das großbürgerliche Landhaus 1933 erworben
Nachdem der Senat vor über zwei Monaten die internationale Maklerfirma Angermann mit dem Verkauf der Villa Lemm beauftragt und die bis dahin vorliegenden Kaufgebote von zehn Bewerbern rückwirkend an diese weitergeleitet hatte (die taz berichtete), wird das hochherrschaftliche Landhaus in Havelnähe in Gatow jetzt meistbietend versteigert. Am 5. September ist die Abgabefrist für Gebote. Damit könnte die traditionsreiche Villa zu einem Schnäppchen auf dem Immobilienmarkt werden. Denn ob der Schätzpreis von 20 Millionen Mark erreicht wird, ist fraglich.
Die Villa Lemm, ehemalige Residenz des britischen Stadtkommandanten, ist wohl eines der schönsten Landhäuser am Rande Berlins. Die geistige Elite der Hauptstadt schätzte Ende der 20er Jahre die Sommergesellschaften des damaligen Besitzers Janos Plesch, der auch Albert Einstein zu seinen Gästen zählte. Das noble Anwesen mit Garten und Pavillons liegt direkt an der Havel und müßte eigentlich der Traum jedes potentiellen Hausbesitzers sein. Dennoch hat das Land Berlin Probleme, einen geeigneten Käufer zu finden.
Stattliche 20 Millionen Mark soll das Haus am Rothenbücherweg laut Gutachter kosten. Die monatlichen Betriebskosten betragen 25.000 Mark, außerdem ist das Dach dringend renovierungsbedürftig. Im Haus selbst sind auch einige Reparaturarbeiten notwendig, da 1992 ein Wasserrohrbruch großen Schaden anrichtete.
Vor drei Jahren wurden Haus und die 2,3 Hektar Gartenfläche unter Denkmalschutz gestellt. „Die Villa Lemm stellt ein herausragendes Zeugnis großbürgerlicher Lebens- und Wohnvorstellungen im Zeitalter Kaiser Wilhelm des Zweiten dar“, heißt es im Gutachten des Denkmalschutzamts. Das Haus wurde 1907/08 nach den Plänen des Berliner Architekten Max Werner für den Schuhcreme- Fabrikanten Otto Lemm erbaut. Dieser erwarb 1913 einen weiteren Grundstücksstreifen und ließ dort noch Gewächshäuser, eine Kegelbahn mit zwei kleinen Pavillons, einen großen Musik- und Wasserpavillon, einen Tennisplatz und einen dreistufigen Terrassengarten errichten.
Nach Otto Lemms Tod kaufte der Arzt Janos Plesch das Landhaus im Jahre 1929. Plesch entstammte einer jüdischen Familie aus Ungarn und war Professor der Inneren Medizin. Sein Haus war in der kurzen Zeit bis zu Hitlers Machtergreifung Treffpunkt bekannter Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur. Albert Einstein wohnte dort sogar einige Monate, um in Ruhe zu forschen und Geige zu spielen. 1933 emigrierte Plesch nach London, und die Villa wurde von der Stadt Berlin gekauft.
Nach dem Krieg beschlagnahmten die Besatzungsmächte das Haus, das fortan als Residenz des britischen Stadtkommandanten diente, die unter anderem zur Berliner 750-Jahr-Feier für eine Nacht Queen Elizabeth II. beherbergte. Mit dem Ende des Vier-Mächte- Status kehrte die Villa 1990 in den Besitz des Landes Berlin zurück. Seither steht das Haus leer, da kein Käufer den Vorstellungen der Landesregierung entsprach. Vendeline von Bredow/dpa
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