"Politische Blockade"

■ Die Berliner PDS-Landesvorsitzende Petra Pau über den Bundestagswahlkampf in Ostberlin und die Rolle ihrer Partei

Ganz Berlin stürzt ins Sommerloch – und wir auch: Aufgrund einer redaktionellen Panne erschien in der taz von gestern auf Seite 22 ein Interview mit der Berliner Landesvorsitzenden der PDS, Petra Pau, nur unvollständig. Wir bitten um Entschuldigung und drucken heute das komplette Gespräch.

taz: In Ostberliner Wahlkreisen wird sich im kommenden Herbst entscheiden, ob die PDS weiterhin im Bundestag vertreten ist. Angeblich steckt die PDS in Berlin drei Millionen in den Bundestagswahlkampf, um ihren Einzug ins Parlament zu sichern.

Petra Pau: Wenn man solche Meldungen liest, muß man für den Herbst eine Schlammschlacht erwarten. Wir werden uns daran nicht beteiligen. Das Profil unseres Wahlkampfes steht: Das ist die soziale Sicherung in Ost und West, Demokratisierung der Gesellschaft – also Opposition. Wir werden insgesamt 1,1 Millionen Mark dafür ausgeben, davon werden 800.000 Mark aus der Bundeszentrale der PDS kommen.

Man hat den Eindruck, die Erfolge der PDS gründen nicht nur im Verdruß mit der Einheit, sondern auch in der Rückkehr eines besonderen DDR-Bewußtseins.

Das ist nicht nur einfach Ost- Bewußtsein. Vor allem ist es wachsendes Selbstbewußtsein, Besinnung auf die eigene Kraft und die Erwartungen, die man 1989 hatte. Insofern ist es nicht nur die Wahl einer Interessenvertreterin Ost.

Es geht in der PDS wild durcheinander: Da gibt es die alten SED-Kader und solche, die kommunistische, linksautonome und sozialdemokratische Positionen vertreten. Und viele wählen PDS, die eigentlich ganz rechtskonservative Law-and-order-Vorstellungen haben. Wie lange geht ein solcher Spagat gut?

Zunächst habe ich etwas dagegen, Menschen in Schubkästen einzusortieren. Wir, wie die Linke überhaupt, befinden uns nach der Implosion des Realsozialismus auf der Suche. Mir ist nicht gänzlich egal, wie ich Stimmen bekomme. Im Moment empfinde ich diese Vielfalt aber noch als Bereicherung. Wir sind ja nicht fertig, was die programmatische Diskussion betrifft. Ich halte es für wichtig bei der Diskussion, daß diese sehr unterschiedlichen Pole sich aneinander reiben. Man darf diese Positionen nicht platt machen, sondern muß versuchen, diesen Streit möglichst lange auszuhalten, um so das Profil der PDS noch genauer zu bestimmen.

Dann kann es auch Unvereinbarkeiten geben?

Ja. Zum Beispiel im Umgang mit der eigenen Geschichte und bei der Beurteilung der DDR. Das betrifft auch den Streit um den Weg dieser Partei. Ich kann mir nicht vorstellen, Vorsitzende einer klassischen kommunistischen Partei zu sein.

Ist das auch ein Generationskonflikt?

Nein, das geht durch alle Altersgruppen. Ich erlebe junge Menschen, die sehr alt sind und umgekehrt. Für den Berliner Landesverband ist auch das Ost-West-Verhältnis sehr produktiv. Es gibt natürlich immer mal wieder die Versuchung, solche Unterschiede platt zu machen oder mit der großen Zahl der Ostberliner Mitglieder fremd klingende Diskussionen wegzudrücken. Das ist nicht gut. Wir müssen ganz bewußt die Widersprüche sowohl in der Politikauffassung und im Politikstil als auch bei den Vorstellungen über den weiteren Weg austragen. Deshalb müssen wir auch für die nächste Abgeordnetenhausfraktion Menschen aus dem Westteil nominieren.

Wie sieht die PDS in fünf Jahren aus?

Mal schauen, wo wir dann außer in Kreuzberg im Westteil Berlins noch in den Bezirksverordnetenversammlungen sitzen. Ich gehe davon aus, daß die PDS sich noch stärker als sozialistische, radikaldemokratische Partei profiliert. Für mich gehört die PDS auch in fünf Jahren noch auf Landes- und Bundesebene in die Opposition. Das heißt, die PDS sorgt für Widerstand außerhalb der Parlamente und dafür, daß von dort Druck auf die Regierung ausgeübt wird. Die Funktion von Opposition ist dieses Treiben der Regierung, die Popularisierung von gesellschaftlichen Alternativen und die Suche nach Mehrheiten dafür weit über den parlamentarischen Raum hinaus.

Das Mißtrauen gegen die PDS und der Verweis auf die SED-Vergangenheit werden bleiben. Mit der Stasi-Frage hat sich die PDS bisher nur gezwungenermaßen und ungenügend befaßt.

Das Mißtrauen wird uns weiter begleiten. Vielleicht ist ein gesundes Mißtrauen gar nicht mal das schlechteste in der Politik. Wir haben uns zur Verantwortung bekannt für den gescheiterten Realsozialismus. Dazu gehört für mich, daß Mitglieder und Funktionsträger zu ihrer Geschichte stehen, damit wir öffentlich damit umgehen können. Das ist eine moralische Kategorie. Natürlich gibt es im Berliner Landesverband darüber sehr unterschiedliche Positionen und auch sehr heftige Auseinandersetzungen. Die sind nicht abgeschlossen.

Wäre es nicht doch besser gewesen, die PDS gänzlich neu zu gründen und dann eben nicht als juristische Nachfolgerin der früheren SED?

Auch in diesem Falle wären wir heute wohl denselben Vorwürfen ausgesetzt. Es würde dann bloß heißen, wir hätten uns ein neues Mäntelchen umgehängt. Für mich ist auch noch nicht endgültig beantwortet, ob der jetzige Weg der richtige war. Aber wir sind diesen Weg gegangen, auch um die Verantwortung für die Vergangenheit deutlich zu machen. In der Mitgliedschaft muß wachgehalten werden, daß der Gründungskonsens der PDS die Entschuldigung gegenüber der DDR-Bevölkerung und der Bruch mit dem Stalinismus war.

Nimmt die Ausgrenzung der PDS in Berlin ab?

Auf bezirklicher Ebene – ja. Es gibt in den Ostberliner Bezirken in den Bezirksämtern im allgemeinen eine sachbezogene pragmatische Zusammenarbeit bis hin zur CDU. Auf Landesebene besteht die politische Blockade weiter. Dies betrifft auch die SPD. Ich erlebe zwar von einzelnen SPD-Mitgliedern und verschiedenen Kreisen ein großes Interesse an einer solchen Diskussion mit uns, aber offiziell gibt es dieses Thema nicht.

Bei den Europawahlen gab es in Berlin eine satte Mehrheit von SPD, Grüne und PDS für eine Reformpolitik. Müßte das nicht die politische Debatte beflügeln?

Wenn man die sozialdemokratische Politik betrachtet, dann gibt die SPD kaum Hinweise, daß eine Reformpolitik möglich ist. Es ist zudem eine Illusion zu glauben, wenn Rot-Grün kommt, wird auf der Stelle in Berlin eine ganz andere Politik gemacht. Das braucht einen gewissen Druck. Vorstellbar ist, daß wir Rot-Grün tolerieren. Das heißt aber nicht, daß wir uns dann als unsichtbarer Partner in eine Koalitionsvereinbarung einbinden lassen und so unsere Unabhängigkeit aufgeben.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus-Rüdiger Landowsky ist der Meinung, daß der Ostler einfach ein undankbarer Mensch ist, den man nicht zufriedenstellen kann.

Landowsky ist immer noch nicht aus den Gräben des Kalten Kriegs gekommen. Es geht natürlich auch um eine materielle Verbesserung. Daneben aber steht, daß sich Ostdeutsche seit 1989 systematisch in ihrer Würde verletzt fühlen. Es geht darum, daß ihr Leben anerkannt, nicht einfach entwertet wird: Daß alles, was war, ein negatives Vorzeichen bekommt, nur weil es gelebtes Leben in der DDR war. Gleichzeitig müssen Menschen über ein Rentenstrafrecht, eine pauschale Niederstufung oder die Nichtanerkennung von Berufsabschlüssen auch materielle Verluste hinnehmen. Ich würde diese aber nicht allein in den Mittelpunkt stellen. Das ist genau die Beschränktheit des politischen Denkens von Landowsky und der CDU. Er errichtet damit doch eine neue Mauer in den Köpfen, was ich für fatal halte.

Gegenwärtig geht es aber – wie beim Landeshaushalt – nur um die materiellen Dinge.

Ich kritisiere, daß die Große Koalition rigoros Streichungen beschließt, ohne vorher eine Bestandsaufnahme in der Stadt zu machen. Man muß aufhören, das alte West-Berlin zu denken. West- Berlin hängt nicht mehr am Bonner Tropf, und auch die Hauptstadt der DDR ist nicht mehr vorhanden, in die alles hineingebuttert wurde. Wie kann die Einheitsgemeinde Berlin unter den veränderten Bedingungen funktionieren, das ist doch jetzt die Frage. Die Weststrukturen aber wurden pauschal auf den Ostteil übertragen, und nun streicht man alles wieder zusammen. Die Chance, Erfahrungen von Ost und West produktiv zu machen, die es 1990 gab, ist verschenkt worden.

Aber auch die Landesregierung kommt um das Haushaltsloch von fast zehn Milliarden Mark nicht herum.

Richtig. Die zentrale Frage aber ist, wie kann Berlin aus eigener Kraft und mit welchen Ressourcen und welchen Strukturkonzepten für Verkehr und Wirtschaft Zukunft gestalten? Da sehe ich beim Senat keine Antworten, auch was staatliche Aufgaben betrifft. Im Moment erleben wir, wie sich das Land immer mehr Aufgaben entledigt durch die Privatisierung, anstatt vorher zu analysieren, welche Dinge rationalisiert und zusammengefaßt werden können und welche weiterhin Pflichtaufgaben bleiben müssen. Man kann auch nicht pauschal in allen Bezirken streichen, sowohl in Zehlendorf als auch in Hellersdorf – das ist beispielsweise ein Bezirk, in dem es eine völlig unfertige Infrastruktur gibt, weil der Bezirk 1989 ja noch in Bau war. Die Kritik betrifft auch die Gebietsreform. Wenn man zwölf riesengroße Bezirke schafft, dann rückt für die Bürgerinnen die Verwaltung nicht näher, sondern weiter weg. Ob man damit tatsächlich Geld spart, bleibt ebenfalls offen. Gespräch: Gerd Nowakowski