"Meilenstein" schrumpft

■ Straßenbahn in den Westen soll nur noch um 500 Meter verlängert werden / Selbst Verkehrsverwaltung übt Kritik

Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) sprach Anfang des Monats von einem „Meilenstein in der Verkehrspolitik“. Mit der Verlängerung der Straßenbahnlinie 23 von der Björnsonstraße im Prenzlauer Berg bis zum Eckernförder Platz zum Universitätsklinikum Rudolf Virchow im Wedding – rund 5,3 Kilometer – setze Berlin ein wichtiges Signal für ein kostengünstiges, behindertengerechtes und umweltfreundliches Verkehrsmittel. Doch der Meilenstein ist unbemerkt zu einem Kieselstein geschrumpft: Im Zusammenhang mit den Einsparungen für den Doppelhaushalt 95/96 soll die Linie 23 nur noch um 500 Meter verlängert werden.

Der Beschluß ist unsinnig: Statt Fahrgästen neue Umsteigemöglichkeiten für U- oder S-Bahn zu bieten, würde die Tram von der Bornholmer Straße nur in die Osloer Straße verlängert, um dort unvermittelt stehenbleiben zu müssen. Da es keinen „sinnvollen Anschluß“ gebe, räumte gestern der Sprecher der Verkehrsverwaltung, Tomas Spahn, auf Anfrage ein, werde Senator Herwig Haase (CDU) heute im Senat dafür plädieren, die Tramstrecke wenigstens 1.000 Meter weiterzubauen – bis zur U-Bahn-Station Osloer Straße. Dort verkehren die U 9 (Osloer Straße – Rathaus Steglitz) und die U 8 (Paracelsus-Bad – Leinestraße).

In der Finanzplanung bis zum Jahr 2000 für den öffentlichen Personennahverkehr war die Strecke als „neue Maßnahme mit hoher Priorität eingestuft worden“. 160 Millionen Mark sollte die Strecke mit zehn neuen Haltestellen kosten, die bislang die einzige wesentliche Straßenbahn-Planung in den Westteil der Stadt war. Die Linie 3 würde die Verbindung zu weiteren vier S-Bahn- und drei U-Bahn-Linien sowie zahlreichen Busanschlüssen herstellen. Die Senatsbauverwaltung hat ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet, im Oktober dieses Jahres sollte mit dem Bau begonnen, rechtzeitig zu den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 1995 die Strecke bis zur Osloer Straße in Betrieb genommen und der Rest im Herbst 1996 eröffnet werden. Die Verbindung war bislang als „grünes Gleis“ vorgesehen: Parkplätze und Straßenstücke, die die Tram in Anspruch genommen hätte, sollten entsiegelt werden. Der Straßenbahn wären allerdings auch 80 Bäume zum Opfer gefallen.

Während der Verkehrssenator heute in der Senatssitzung nun versuchen will, einen Teil der geplanten Schienenverlängerung zu retten, herrscht in der Bauverwaltung Aufregung. Staatssekretär Frank Bielka (SPD) sei „aus allen Wolken gefallen“, als er im Protokoll zur Senatsklausurtagung von dem 500-Meter-Beschluß las, berichtete sein Sprecher Ralf Schlichting. Denn solch ein Beschluß sei „überhaupt nicht gefallen“. Bielka will nun heute mit Haase darüber reden. „Wir gehen davon aus, daß es den Beschluß nicht gibt“, unterstrich der Sprecher der Bauverwaltung. Gegenüber der taz bekräftigte die Senatskanzlei dagegen den Sparbeschluß. Dirk Wildt