Nachrichtendusche

TV-Kritiker umarmen das Fernsehen (Teil 1): Das „Morgenmagazin“ (ARD/ZDF)  ■ Von Klaudia Brunst

Ganz gegen die Realitäten des Programmangebots beschäftigt sich die Fernsehkritik stets mit dem Neuen. Dabei lebt das Fernsehen von seiner Serialität. Die besten Formate sind selten die neuesten. Weshalb sich die taz-Kritiker in der hier beginnenden Serie ausschließlich mit liebgewonnenen Altlasten des aktuellen Programmangebots auseinandersetzen. Wiedersehen macht Freude.

Es ist kaum länger als zehn Jahre her, da hielt auch ich die nordamerikanische Sitte, schon während des Frühstücks fernzusehen, für den schlagenden Beweis des fortgeschrittenen Kulturverfalls. So dachten wir aufgeklärten Mitteleuropäer damals: Game Shows waren in unseren Augen etwas für geistig Verwirrte, die „Tonight-Show“ von Jonny Carson eine Einrichtung bestenfalls für Schlafgestörte, und die Tatsache, daß ein CBS- Nachrichtensprecher bekannter sein konnte als der US-Präsident, mochten wir eigentlich gar nicht erst zur Kenntnis nehmen. Kurz: Wir hatten noch keine Bekanntschaft mit dem Privatfernsehen gemacht.

Das sollte sich bald ändern. Und spätestens nach dem triumphalen Erfolg der Dauerwerbeshow „Glücksrad“ erschien uns nun alles möglich. Wenn ich mich recht erinnere, beglückten uns die Privaten dann Ende der achtziger Jahre mit einem wörtlich genommenen Vollprogramm, das seinen Sendebetrieb bereits zu nachtschlafender Zeit morgens um 6 Uhr aufnahm. Wir hielten das für eine Schnapsidee und hätten jede Wette gehalten, daß diese Magazine binnen eines knappen Jahres wegen Quotenabstinenz eingestellt werden müßten. Bis sich die Amerikaner 1991 zu ihrem „Desert Storm“-Einsatz in den Golf aufmachten. Eines Morgens hörte ich im Radio, daß Amerika, das Land der Frühstücksfernseher, sich im Krieg gegen den Irak befände.

In Momenten nationaler Bedeutung schaltet man reflexartig das Fernsehen ein. Denn längst trauen wir dem Radio nicht mehr wirklich zu, uns angemessen zu informieren. Zu sehr ist es zum kaum noch wahrnehmbaren Hintergrundmusiklieferanten verkommen. Im Radio ist die News zwar am schnellsten, aber erst im Fernsehen, mit seinem wahrhaftig erscheinenden Bildangebot, gewinnt sie an Bedeutung. Am Morgen des 17.1. 1991 zappte ich also durch die vielen TV-Sondersendungen, die uns mit Bildern eines Krieges versorgten, in dem es keine Bilder geben sollte. Jedenfalls keine echten.

Auch die Öffentlich-Rechtlichen erkannten ihre Chance: Parallel zu den Privaten zeigten sie während des Krieges nun ab 6 Uhr so eine Art Mittagsmagazin für Frühaufsteher. Es war bei uns sofort viel beliebter als „Guten Morgen Deutschland“ (RTL) oder „Deutschland heute morgen“ (Sat.1), denn es war öffentlich- rechtlich. Der „Desert Storm“ war irgendwann vorbei, unsere Neigung zum frühen Fernsehen aber blieb. In diesen Kriegstagen hatte man uns an das Frühstücksfernsehen gewöhnt.

ARD und ZDF machten sich diese neue Vertrautheit zunutze. Seit zwei Jahren senden sie nun im wöchentlichen Wechsel das „Morgenmagazin“. Seitdem hat sich mein Radiokonsum auf null reduziert. Das MoMa erscheint mir nun die einzige Form der Nachrichtenvermittlung zu sein, die ich vor der ersten Tasse Kaffee ertrage. Behutsam werde ich von dem jeweiligen Moderatorenteam an die Nachrichtenflut des Tages herangeführt. Noch ist es zu früh für die News-Hardware, noch darf sich unter die harten Facts ein Bericht über das Benefiz-Konzert der Rollings Stones mischen. Aber die MoMa-Leute sind schon ausgeschlafen. Während ich in die Küche schleiche und den Kaffee aufsetze, macht Maybrit Illgner wieder mal Stimmung für den Osten oder Cherno Jobatey in guter Laune. Mit relativ langen Magazinbeiträgen – ich schätze zwischen 2,5 und 3 Minuten – servieren mir ARD und ZDF Hintergründe über den letzten EU-Gipfel, den Staatsbesuch von Li Peng, den neuen Labour-Chef Tony Blair und den Abzug der russischen Schutztruppen aus Berlin. Nicht alles interessiert mich wirklich, aber das kümmert mich wenig, während ich mit dem Frühstückstablett im Bett sitze und den Kaffee in der Tasse kühl blase.

Alle 15 Minuten gibt es Schlagzeilen für die neu Dazugekommenen, und zu jeder halben und vollen Stunde „richtige“ Nachrichten aus dem „Heute“- oder „Tagesschau“-Studio. Auch das Wetter hat seinen festen Sendeplatz, so daß ich schon unter der Dusche wissen kann, was ich gleich am besten anziehen soll.

Mit dem „Morgenmagazin“ kommen die Nachrichten wieder so leichtfüßig daher wie früher im Radio. Was dort die Musik ist, ist im Frühstücksfernsehen der Kulturbeitrag, der prominente Frühstücksgast oder der Spot von Käpt'n Blaubär: im Bee-Gees-Sound macht man uns das Aufstehen etwas leichter. Ich bin sicher, eines Tages wird man den Fernsehwecker erfinden.

Die Reihe wird fortgesetzt.