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Drei Jahre Anatopia im Moor

■ Im niedersächsischen Papenburg trotzt ein Hüttendorf der Mercedes-Teststrecke / Geht der Autokonzern nach Berlin?

Bremen (taz) – Im Nordwesten Niedersachsens, am Stadtrand von Papenburg, fühlt man sich in die Hochzeiten der Ökologiebewegung zurückversetzt. Transparente sind entlang der Bundesstraße aufgespannt, kurz dahinter befinden sich etwa 20 bunt bemalte Bauwagen. Ein Holzschild informiert die Vorbeifahrenden: Willkommen in Anatopia. Vor drei Jahren wurde das Gelände besetzt, um die geplante Mercedes-Benz-Teststrecke zu verhindern.

Schon lange machen sich Naturschützer für die Errichtung eines Nationalparks Moor stark, der zu einem Reservoir für über 100 bedrohte Tier- und Pflanzenarten werden sollte. Die Teststrecke inmitten des größten zusammenhängenden Moorgebietes der Republik würde solchen Plänen schlagartig die Grundlage entziehen. Und Verkehrsplaner wiesen auf die ökologischen Folgen hin, die durch die Produktion immer schnellerer und größerer Automobile entstehen. Was auf der Teststrecke ausprobiert werden soll, ist schließlich nicht die Umwelttauglichkeit der Autos, sondern deren Verhalten in Extremsituationen.

Es ist nicht das erste Mal, daß Daimler mit massivem Widerstand konfrontiert ist. In den achtziger Jahren sollte die Teststrecke noch im fränkischen Boxberg errichtet werden. Doch mit hartnäckigem Widerstand gelang es der eher konservativen Bevölkerung, den Stuttgarter Konzern zur Aufgabe seiner Pläne zu bewegen. Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) brachte danach den Standort Papenburg ins Gespräch und garantierte einen reibungslosen Bau. Wegen des großen Arbeitsplatzmangels in der dünn besiedelten Region seien dort, so der Gedanke, ohnehin kaum Proteste zu erwarten.

Die rot-grüne Regierung in Niedersachsen erbte die abgeschlossenen Verträge. Auch die Grünen konnten da nicht heraus; als Erfolg ihrer Politik bezeichneten sie die vertragliche Verpflichtung des Daimler-Konzerns, als Kompensation für die Naturzerstörung ökologische Ersatzmaßnahmen an anderer Stelle zu finanzieren. Fast hätte Daimler die Teststrecke reibungslos durchziehen können. Doch mit der Errichtung des Hüttendorfs bekam der aus unterschiedlichen Motivationen gespeiste Widerstand eine Infrastruktur vor Ort.

Die Gefahr einer Räumung ist jedoch gewachsen, seit Gerhard Schröder (SPD) ohne grüne Bedenkenträger regiert. Die Besetzer bereiteten sich bereits auf diesen „Tag Y“ vor.

Womöglich können die Besetzer aber doch noch einen Erfolg feiern. Mittlerweile haben sich seit längerem kursierende Gerüchte bestätigt, daß Daimler an einer geplanten Teststrecke bei Kummersdorf-Horstwalde, etwa 60 km südlich von Berlin, beteiligt ist. Dort wurde für die nationalsozialistische Kriegsvorbereitung schon in den dreißiger Jahren ein Kfz-Versuchsgelände errichtet, das später Eigentum der Nationalen Volksarmee wurde. Zwar trat Daimler- Chef Edzard Reuter Spekulationen entgegen, daß der Standort Horstwalde Priorität vor Papenburg habe. Zur Zeit will sich der Konzern jedoch beide Optionen offenhalten. Peter Nowak

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