„Frischer und frecher“ am Abgrund

■ Die notorisch erfolglosen Liberalen stellen ihren neuen Slogan zur Bundestagswahl vor: „Diesmal geht's um alles“

Bonn (taz) – Nach den angsteinflößenden Niederlagen in den vergangenen Landtagswahlkämpfen und bei der Europawahl suchen die Liberalen nun unter den Wählern anderer Parteien nach Anhängern. Die FDP wird sich nicht an der „Linksfront“-Kampagne der CDU beteiligen, so kündigte ihr Generalsekretär Werner Hoyer gestern an, sondern sich bemühen, in den neuen Ländern von der PDS Wähler zu gewinnen. Seine Partei werde nicht mit „Holzhammermethoden“ gegen die SED-Nachfolgepartei vorgehen, sondern zwischen den Altkadern der PDS und deren Wählern sorgfältig unterscheiden.

Nach Meinung der Liberalen haben viele Wähler im Osten das Gefühl, ihre Probleme würden von Westparteien nicht wahrgenommen, und wählen deshalb aus Enttäuschung PDS. Das will die FDP nun ändern. Am Wochenende verabschiedete ihr Bundesvorstand in Dresden ein eigens auf die Ostländer zugeschnittenes Programm – für den Aufschwung Ost. Neben der Forderung nach einem Niedrigsteuergebiet enthält es vor allem Versprechungen für den Mittelstand, wie Wirtschaftsminister Günter Rexrodt gestern erläuterte.

Daß die Liberalen am Abgrund stehen, soll im Wahlkampf keineswegs verschwiegen werden. Schließlich läßt sich mit der Drohung eines Ausscheidens aus dem Bundestag noch mancher zögerliche Sympathisant zur Wahl treiben, der sonst zu Hause bliebe. Der neue Slogan, von Hoyer gestern vorgestellt, heißt denn auch konsequent: „Diesmal geht's um alles“.

Die Partei, deren Weiterbestand nach einem Ausscheiden aus dem Bundestag niemand garantieren kann, will ihre alte Farbkombination Blau-Gelb behalten. Allerdings sollen die Farben „frischer und frecher“ werden, wie Hoyer ankündigte. Die Personalisierung soll im Wahlkampf allein auf Außenminister Kinkel zugeschnitten werden, dessen Konterfei die Plakate für den insgesamt rund 10 Millionen Mark teuren Bundestagswahlkampf schmückt. Erst Ende September will die FDP entscheiden, ob sie die Schlußoffensive gegen Rot-Grün oder gegen eine Große Koalition führt.

Eine ähnliche Aufgabe wie das neue Fischen in PDS-Teichen hatten sich die Liberalen schon nach dem Wahlsieg einer anderen Kleinpartei vorgenommen. Wenige Tage nach der Europawahl kürte Hoyer Bündnis 90/Grüne zum künftigen Hauptgegner. Seine Partei, so kündigte der Generalsekretär der Lambsdorff-Partei damals an, werde nun Kompetenz auf ökologischen Themenfeldern beweisen. Hans Monath