■ Tun und Lassen
: Almosen: Das Ein-, Zwei-, Fünfmarksystem

Schwere Säufer gehen leer aus – warum diesem stinkenden Kerl, der schwankend mitten auf dem Trottoir steht und uns mit „Maobarbh?!“ anhaut, auch nur die kleinste Münze in die vollverschmutzte Hand drücken? Was hat er gesagt? Wir gestehen ein sadistisches Vergnügen, wie wir weitereilen, als wäre er unsichtbar.

Auch Zigeunerfrauen („Sinti und Roma“), die sich neben der Volksbank oder der Sparkasse oder der Deutschen Bank sinnreich niedergehockt haben, ein Vierjähriges, das den Schlaf der Erschöpfung vorspielt, so über den Schoß gebreitet, als wäre es kriegsverletzt, und wir könnten gleich hier etwas gegen das Unglück von Sarajevo tun – auch sie dürfen wir übersehen.

Aber sonst soll man immer was geben.

Dabei kommt ein abgestuftes System von Ein-, Zwei- und Fünfmarkgaben zur Anwendung.

Eine Mark kriegt der Jungtrinker im Punk- oder Grunge-Look, der on the road eine verschärfte Adoleszenzkrise durchlebt. Nächstes Jahr wird er sein Studium an der Hochschule der Künste aufnehmen.

Zwei Mark kriegt der Zottelhippie, der am Eingang der U-Bahn wie ein Zerberus hockt, aber statt drohend zu knurren, Witze austeilt: „Bitte eine kleine Parteispende oder eine Gabe für den Ring Deutscher Makler?“ Zwei Mark kriegt der Bettler, der Arbeit vorführt – so hat sich die Regel eingespielt, wie der Preis diverser Berberzeitungen lehrt.

Man hört von ebenso subtilen wie hitzigen Debatten in der Stadt, ob solche Zeitungen gerechtfertigt seien, ob man das Zweimarkstück grundsätzlich ohne Gegenleistung zu spenden habe – geben Sie es halt hin und weisen Sie die Zeitung freundlich zurück (oder auch nicht).

Fünfmarkstücke bleiben für Spitzenleistungen reserviert. Dieses Monster, das die U-Bahn bearbeitet. Verdrehte Füße und Hände, eine riesige Brandnarbe am Hals; mit Augendeckeln, die über den Augäpfeln sich ordentlich zu heben weigern, Augäpfel, die ihrerseits immer wieder abdrehen. Ein verrotteter Junkie, ein junger Mann von 20 Jahren.

Der Stoff hat auch seine Sprechwerkzeuge beschädigt. Die Elendserzählung („Ich bin der Malte...“) kommt mit einem schnarrenden Näseln aus ihm heraus. Nicht sie gewinnt ihm das Fünfmarkstück, sondern eine Geste von anrührendem Takt.

Wenn er durch den Waggon hinkt, um die Almosen einzusammeln, hält er den entsetzten, um Gleichmut bis zur Gleichgültigkeit angestrengt bemühten Bürgern einen kleinen Blechbecher entgegen, um ihnen jede Berührung mit seiner dreckigen Krüppelhand zu ersparen.

Monika Rinck