Eine Bankrotterklärung für die UNO

■ Präzise und ohne diplomatische Rücksichtnahme benennt UN-Generalsekretär Butros Ghali in seinem Brief an die Mitglieder des Sicherheitsrates Versagen und Versäumnisse wichtiger Mitgliedstaaten bei ...

Präzise und ohne diplomatische Rücksichtnahme benennt UN-Generalsekretär Butros Ghali in seinem Brief an die Mitglieder des Sicherheitsrates Versagen und Versäumnisse wichtiger Mitgliedstaaten bei der Lösung des Bosnien-Konfliktes

Bankrotterklärung für die UNO

Das Schreiben von Generalsekretär Butros Ghali an die Mitglieder des Sicherheitsrates ist in weiten Teilen eine Bankrotterklärung für die UNO. Eine Bankrotterklärung, die nicht nur hinsichtlich des aktuellen Anlasses des Schreibens gilt – die Situation in Ex-Jugoslawien –, sondern auch für Konflikte in anderen Weltgegenden. Auf acht Seiten benennt Butros Ghali präzise und ohne diplomatische Rücksichten Versagen und Versäumnisse, Widerstände und Bedenken auch wichtiger Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates, die ihn jetzt zu seinem Vorstoß genötigt haben, den Rückzug der derzeit rund 26.000 Unprofor-Soldaten aus Bosnien, Kroatien und Makedonien zu empfehlen.

Überrascht sein kann niemand, gleich zu Beginn seines Briefes erinnert Butros Ghali den Sicherheitsrat daran, daß bereits im August 1993 die Unprofor und die Nato den Personalbedarf für die Umsetzung und Überwachung eines Bosnien-Abkommens übereinstimmend auf 60.000 Soldaten, 2.900 Polizisten sowie mehrere hundert zivile Fachleute bezifferten. Die Kosten wurden auf vier bis fünf Milliarden US-Dollar veranschlagt. Aufgrund der bislang erlebten „Nicht-Kooperation“ durch die Konfliktparteien empfahlen Nato und Unprofor seinerzeit ein Mandat des Sicherheitsrates für diese Operation nach Kapitel 7 (Zwangsmaßnahmen) der UNO- Charta.

Butros Ghali übernahm all diese Vorgaben und legte dem Sicherheitsrat im September drei denkbare Optionen vor für den Fall, daß alle bosnischen Konfliktparteien ein Abkommen unterzeichnen: ein reine UNO-Operation unter eindeutigem UNO- Oberbefehl; eine Operation, bei der die Nato die militärischen und die UNO die zivilen Aufgaben übernehmen würde; und schließlich eine Mischung „interessierter“ Staaten und regionaler Organisationen, die – autorisiert durch den UNO-Sicherheitsrat – die Operation zur Umsetzung und Überwachung eines Bosnien-Abkommens durchführen.

„Weil die Mitgliedstaaten der UNO nicht die für eine solche Operation erforderlichen Finanzen sowie ausreichendes Personal mit entsprechender Ausrüstung zur Verfügung“ stellten, habe er die erste Option schon vor zehn Monaten als „nicht umsetzbar“ eingeschätzt, mahnt der Generalsekretär. Seitdem hätten sich die entsprechenden Schwierigkeiten noch erheblich verschärft. Das werde neben Bosnien auch in Ruanda deutlich.

Die Außenstände bei den Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten für den peace-keeping- Haushalt der UNO seien seit September 1993 noch einmal um 30 Prozent auf jetzt über zwei Milliarden US-Dollar angestiegen.

Als entscheidendes Hindernis für eine reine UNO-Operation bezeichnet Butros Ghali auch die Weigerung der USA (deren Beteiligung unerläßlich ist, um der Operation die notwendige politische Autorität und militärische Muskeln zu verleihen), „ihre Truppen einem UNO-Oberkommando zu unterstellen“. Schließlich weist der Generalsekretär darauf hin, daß „trotz einiger Fortschritte beim Ausbau“ die Kapazitäten der UNO für das Management und das „effektive Kommando und die Kontrolle“ für peace-keeping- Operationen der für Bosnien erwogenen Größenordnung „noch nicht ausreichen“.

Die zweite Option (UNO: zivile und Nato: militärische Aufgaben) verwirft Butros Ghali mit Hinweis auf „bisherige Schwierigkeiten“ bei der Koordination zwichen Nato und Unprofor in Bosnien. Dazu gehöre „vor allem die Frage, wie ein gewisses Maß an politischer Kontrolle durch die UNO über militärische Maßnahmen der Nato“ „sichergestellt“ werden könne. Die Schwierigkeiten würden noch zunehmen bei einer Nato-Truppe von 60.000 Soldaten, die zudem mit einem Mandat des Sicherheitsrates für Zwangsmaßnahmen ausgestattet würden. Der Generalsekretär verweist außerdem auf Bedenken Rußlands gegen eine Beteiligung der Nato, „solange die ganze Operation nicht unter dem Kommando und der Kontrolle des UNO-Sicherheitsrates“ stehe.

Aus diesen Gründen empfiehlt der UNO-Generalsekretär Option 3: Die fünf Staaten der Bosnien- Kontaktgruppe (USA, Rußland sowie Frankreich, Großbritannien und Deutschland für die EU) sollten, versehen mit einer Autorisierung durch den Sicherheitsrat, die gesamte Operation in Bosnien, aber auch in Kroatien und Makedonien übernehmen – personell, finanziell und administrativ. Die Unprofor-Truppen sollten vollständig abgezogen werden. Butros Ghali macht diese Empfehlung ausdrücklich auch für den – derzeit wahrscheinlichen – Fall, daß kein Bosnien-Abkommen zustande kommt. Bei den dann notwendigen Zwangsmaßnahmen gegen die ablehnende Seite (nach jetzigem Stand die bosnischen Serben) sei die Unprofor „Vergeltungsmaßnahmen“ ausgesetzt.

So logisch die Schlußfolgerungen des UNO-Generalsekretärs scheinen – Butros Ghali weiß genau, daß auch Option 3 völlig unrealistisch ist. Die USA haben bislang lediglich ihre Bereitschaft zur Entsendung von GIs nach Unterzeichnung eines Abkommens erkennen lassen. Es gibt bisher überhaupt keine Hinweise dafür, daß sich Frankreich und Großbritannien nach dem Abzug ihrer Unprofor-Kontingente an einer internationalen Truppe beteiligen würden, die gegen den Willen zumindest einer Konfliktpartei stationiert würde. Deutschland hat auch nach dem Karlsruher Richterspruch und völlig unabhängig von den konkreten Rahmenbedingungen eine Entsendung von Bodentruppen nach Ex-Jugoslawien grundsätzlich ausgeschlossen. Und Rußland wird die Aufgabe mit Sicherheit nicht alleine übernehmen. Fallen die genannten Staaten aus, werden mit Sicherheit auch keine anderen Länder Soldaten nach Ex- Jugoslawien schicken. Andreas Zumach, Genf