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UNO gescheitert, Bonn gefragt

■ UNO-Generalsekretär Butros Ghali fordert Rückzug der 35.000 Blauhelme aus Bosnien

New York/Berlin (taz/AFP) – Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat das Scheitern der UNO auf dem Balkan eingestanden. In einem achtseitigen Brief, der am Montag abend in New York bekannt wurde, schlägt Butros Ghali dem UNO-Sicherheitsrat vor, die in Ex-Jugoslawien stationierten 35.000 Blauhelme abzuziehen und sie durch eine 60.000 Mann starke „Vereinte Einsatztruppe“ zu ersetzen.

Die Rückzugs-Empfehlung Ghalis gilt für beide derzeit in Bosnien möglichen Entwicklungen. Sollte der Teilungsplan der internationalen Vermittler abgelehnt werden und es tatsächlich zu den von den Vermittlern angekündigten Strafmaßnahmen gegen die bosnischen Serben kommen, würden dadurch die Blauhelme gefährdet. Würde der „Friedensplan“ hingegen doch noch angenommen, müßten für seine Umsetzung diejenigen „Verantwortung übernehmen, die den Plan ausgehandelt haben“. Verantwortung übernehmen müßte somit auch Deutschland, denn es gehört neben Frankreich, Großbritannien, Rußland und den USA der „Kontaktgruppe“ an.

Zu der neuen Aufgabe, die nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts über UNO-Einsätze der Bundeswehr nun schneller als erwartet auf die Bundesrepublik zukommen könnte, wollte in Bonn gestern niemand Stellung beziehen. Statt dessen verlautete aus diplomatischen Kreisen, der Generalsekretär habe in „eigener Zuständigkeit und Verantwortung“ seinen Brief geschrieben. Über seine Vorschläge müßte der Sicherheitsrat entscheiden. Deutschland, das dem Rat nicht angehöre und keine Truppen in Ex-Jugoslawien stelle, wolle sich als Mitglied der „Kontaktgruppe“ mit den anderen Vermittlern „eng abstimmen“.

Sehr viel deutlicher äußerten sich dagegen Vertreter der US-Regierung: „Wir sind bestürzt, wir denken, die Blauhelme sollten sich unter keinen Umständen zurückziehen“. Und: „Wir denken, der Brief ist in keinster Weise hilfreich.“ Nach Ansicht der US-Diplomaten wird der UNO- Sicherheitsrat dem Abzug der Blauhelme aus Bosnien nicht zustimmen. Gegen den Abzug der Blauhelme sprach sich auch der russische Verteidigungsminister Pawel Gratschow aus. „Nur die UNO-Soldaten können den Frieden garantieren, denn die Nato-Soldaten sind keine Friedenssoldaten“, sagte Gratschow in Belgrad. Dort versucht der russische Verteidigungsminister noch einmal, die bosnischen Serben zur Annahme des Teilungsplans zu bewegen.

Ghalis Begründung für seine Empfehlung ist klar, und sie überrascht UNO-Insider nicht: Schon lange war bekannt, daß die Bosnien-Mission mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, schon lange gab es Klagen über die fehlende Bereitschaft, der UNO die notwendigen Truppen zur Verfügung zu stellen. In seinem Brief beklagt sich Ghali außerdem ausführlich über die fehlende Koordination zwischen UNO und Nato bei den bisherigen Einsätzen in Bosnien.

Der Brief gilt nicht nur in New York als „heiß“, seine Verbreitung, so ein britischer UN-Diplomat am Montag abend konsterniert, hätte eigentlich verhindert werden sollen. her Tagesthema Seite 3

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