Immer an der Wand lang

■ „Every Word A Gold Coin's Worth“ der Gruppe Betontanc aus Slowenien beim Sommertheater

Nicht Flutlicht, der Schein einer niedrig hängenden Küchenlampe erhellt das Dunkel, als das Spiel um Liebe, Qual, Haß und versuchte Flucht beginnt. Das Spielfeld, zunächst auf neun mal sieben Meter abgemessen, ist die Bühne der Halle 4 auf Kampnagel, das slowenische Ensemble Betontanc tritt mit festem Schuhwerk und dem Stück Every Word A Gold Coin's Worth beim Turnier namens Internationales Sommertheater Festival an.

Sportlich, dynamisch, kämpferisch bewegen sich drei Tänzerinnen und drei Tänzer in der Inszenierung von Regisseur Matjaz Pograjc, der zuvor in seiner Heimat Slowenien auch schon mal Fußballmannschaften trainiert hatte. Beim Publikum ließ sich am Dienstag das erste Gastspiel zum Festival-Schwerpunkt „Zeitgenössisches Tanztheater aus Slowenien“ als Erfolg verbuchen.

Was mit dem fahlen Schein der Lampe und dem zagen Singsang einer Tänzerin anhebt, entwickelt sich zu einem körperbetonten Steilwand-Akt von Beziehungen, in denen angetäuscht, abgefälscht, getunnelt und gefoult wird - bis hin zur brachialen Vergewaltigung.

Die Rückseite des Spielfeldes begrenzt eine 2,7 Meter hohe und knapp dreieinhalb Meter breite Metallwand. Vor dieser Grenze spielt der Reigen zunächst mit erotischen Ritualen der drei stets wechselnden Paarkonstellationen zu schwermütigem Geigenjammern im Dreivierteltakt. Das Umarmen, Umklammern, Loslassen gewinnt an Tempo, die Paare schleudern sich durch den Raum, rennen gegen die Wand an, hängen sich an sie, pendeln aus, lassen erschöpft los, um sich erneut in die Höhe zu stemmen und im getanzten Geschlechterkampf zu verlieren. Die Musik von Mitja Vrhovnik Smrekar schwillt an zu harten treibenden Beats, die ein Tänzer, mit knüppeldicken Schlegeln auf die Metallwand trommelnd, fortsetzt.

Aus Taumel wird Raserei, das Opfer der Vergewaltigung liegt gekrümmt am Boden, mit Kreide markiert einer der sie stumm umringenden Tänzer ihre Körperumrisse auf dem Boden - der Umriß eines Embryos entsteht. Fort setzt sich die Geschichte auf einem improvisierten Operationstisch aus sechs Stühlen, darauf das Opfer der Vergewaltigung und davor ein Operateur, der seine Hände in blutigen Latexhandschuhen spreizt.

Nein, auf den Krieg in Ex-Jugoslawien beziehe sich Every Word A Gold Coin's Worth überhaupt nicht, betont Regisseur Pograjc stets beharrlich. Tatsächlich aber drängen sich solche Verknüpfungen und Assoziationen nicht nur in der Szene der Vergewaltigung auf, die in diesem Krieg – wie anderswo – als Mittel der Machtdemonstration und psychischen Zerstörung eingesetzt wurde. Die stetige Verkleinerung der Spielfläche, die die Tänzer mit Kreidelinien begrenzen, läßt am Ende des gut halbstündigen Ereignisses nur noch einen schmalen Streifen vor der Wand frei, an die sich das Ensemble preßt, um das letzte Stückchen Freiraum nicht zu übertreten.

Der Regisseur aus Slowenien, an dem der blutige Becher des Balkankrieges bald vorüberging und das sich zum blühendsten Teil Ex-Jugoslawiens entwickelt hat, scheint – aus nachvollziehbaren Gründen – vor einer plakativen Thematisierung des Krieges zurückzuschrecken. Aber er verdrängt ihn auch nicht in diesem getanzten Überlebenskampf um Freiheit und Liebe, Gefühl und Härte.

Und während die Slowenen traditionellerweise oft gleich scharenweise und im Familienverbund ihren höchsten Berg, den Triglav in den julischen Alpen, in leichtem Schuhwerk erklimmen, betritt Betontanc mit schweren Schürstiefeln die europäischen Bühnen, um nachhaltige Eindrücke zu hinterlassen. Julia Kossmann

noch heute, Kampnagel Halle 4, 20 Uhr