Mit Saus und Braus - in den Unfall oder in die Passantin

■ Hamburgs Fahrrad-FahrerInnen fahren manches Mal zu rücksichtslos, doch eine Plakette hilft da kaum

Keine Minute zu früh, in kurzer Hose und Turnschuhen, die große Tasche über der Schulter und das Funkgerät im Halfter, nimmt Fahrrad-Kurier Thomas R. auf der Anklagebank des Hamburger Amtsgerichts Platz. Nicht nur für Richter Götz Pflüger ist sofort klar, daß den Mann jede Minute Geld kostet, in der er nicht in die Pedale tritt.

Angeklagt ist Thomas R. wegen „fahrlässiger Köperverletzung“ und „Unfallflucht“: Am 14. Februar 1994 hatte er in der Große Bleichen eine Frau angefahren, die hinter einem Lieferwagen auf die Straße ging. Thomas R. schildert die Situation lebhaft: „Sie reagiert nicht auf Klingeln, ich muß bremsen, rutsch weg und berühre sie. Sie fällt dann zu Boden.“ Er hilft der Frau wieder hoch, und, da er sich am Unfall unschuldig fühlt, hört er sich „das Gezeter“ nur kurz an, steigt wieder auf sein 21-Gang-Trecking-Bike und braust davon: „Ich dachte, es sei alles in Ordnung.“

Doch das ist es nicht: Auch wenn Staatsanwalt Peter Bunners bei Thomas R. kein Unfallverschulden erkennen vermag und den Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung fallen läßt, bleibt er bei der Unfallflucht hart: „Weil jeder verpflichtet ist – auch wenn er schuldlos ist – selbst dafür zu sorgen, daß die Personalien ausgetauscht werden.“ Richter Pflügers Urteil: „1.250 Mark Geldstrafe“. Und der Tip an den Angeklagten: „Fahren Sie künftig vorsichtiger.“ Thomas R.: „Mir wird ganz anders.“

Der Richterspruch überrascht nicht. Aufgrund der steigenden Unfallzahlen und des zunehmenden rowdyhaften Verhaltens vieler RadlerInnen greift die Justiz immer härter durch. Laut Polizeidirektor Volker Knieling von der Landesverkehrsverwaltung ist die Zahl der getöteten FahrradfahrerInnen 1993 um über 100 Prozent auf 14 Todesfälle hochgeschnellt. Nach einer unveröffentlichten Statitisk im „Verkehrsbericht 1993“ waren an 9.165 Unfällen mit Personenschäden 2247 FahrradfahrerInnen beteiligt. In nur 664 Fällen waren die RadlerInnen schuld.

Die häufigsten Gründe für Unfälle: die Benutzung falscher Fahrbahnen, Überfahren von Ampeln, Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot, Fahren im Dunkeln ohne Licht und das umgekehrte Benuntzen von Einbahnstraßen. Die Polizei beklagt überdies zunehmend Geschwindigkeitsüberschreitungen. So rasten allein in Hamburg im vorigen Jahr vier BikerInnen mit mehr als Tempo 50 in Radarfallen.

Während RadlerInnen im Zweikampf mit dem Pkw natürlich Verlierer sind, nutzen immer mehr Leute auf Drahteseln ihre Vorteile gegenüber FüßgängerInnen. Mit hoher Geschwindigkeit werden Fuß- oder Fahrrad-Wege in falscher Richtung befahren. Letzteres kann teuer werden. Polizeisprecher Hans Jürgen Petersen: „Das ist zumindest eine Ordnungswidrigkeit. Wird ein Fußgänger angefahren, gibt es ein Bußgeld und eine Anklage wegen fahrlässiger Köperverletzung“.

Kollidiert ein Fahrrad mit einem Auto, so Petersen, „bekommt der Fahrradfahrer auf jeden Fall eine Mitschuld.“ Der schwarze Peter bleibt aber bei den Auto-FahrerInnen. „Autofahrer müssen wissen: Die Vorfahrt gilt für die ganze Straße in beiden Richtungen.“

Die schweren Radlerunfälle der vergangenen Wochen – auf dem Bille-Wanderweg wurde ein Kind von einem flüchtigen Drahtesel-Fahrer schwer verletzt, in der Mönckebergstraße ein Fußgänger von einer Radlerin getötet – hatte jüngst die Statt-Partei auf den Plan gerufen. Sie forderte Nummernschilder für Drahtesel. Stattpartei-Partei-Verkehrsexperte Klaus Scheelhaase: „In dem Momemt, wo rowdyhafte Radler wissen, daß sie durch das Kennzeichen erkannt und angezeigt werden können, legen sie zwangsweise ein anderes Verhalten an den Tag.“

Doch Hamburgs Polizei winkte ab. Polizeisprecher Werner Jantosch: „Der Verwaltungsaufwand steht in keinem Verhältnis zum Erfolg.“ Selbst bei Fahradkurieren, die aufgrund der miserablen Entlohnung und dem Arbeits- und Zeitdruck zwangweise Verkehrsüberschreitungen begehen, sei der Verwaltungsaufwand für eine Kennzeichenpflicht zu hoch.

Kai von Appen