Die Wohnzimmerfirma

Wer mit Kultur zu tun hat, muß sich in die „Kultur-Mailbox für Kulturschaffende“ einklinken / 130 sind schon drin, und täglich werden es mehr  ■ Von Thorsten Schmitz

Die Idee kam ihnen im Tourneebus. Vor lauter Langeweile. Jürgen Specht und Otto Kuhnle vom Trio Blamage sponnen damals, ein halbes Jahr ist's her, vor sich hin: Man müßte all die Menschen, die mit Kultur zu tun haben, „vernetzen“, sie irgendwie zusammenbringen. Und weil Jürgen, Techniker der Klamauktruppe Trio Blamage, hauptberuflich ansonsten als Computer-Maniac bis zu 70 Stunden in der Woche vorm Bildschirm tüftelt, war die „Kulturbox – Die Mailbox für Kulturschaffende“ geboren.

Seit sechs Wochen verfeinert Jürgen in Nachtschichten das Mailbox-Menü, Otto („Technisch gesehen bin ich eine Pflaume“) koordiniert Inhaltliches. Inzwischen haben sich bereits 130 Männer und Frauen in das System eingeklinkt, und täglich werden es mehr. „Mit so viel Interesse in so kurzer Zeit haben wir gar nicht gerechnet“, sagt Otto Kuhnle. Bald wird der Zwei-Mann-und-eine-Frau-Betrieb Kulturboxen in Frankfurt am Main, Stuttgart und Köln installieren. Und nächstes Jahr, hofft Jürgen Specht, kann sich die Kulturbox an Internet koppeln, eine internationale Mailbox, an die 30 Millionen Menschen angeschlossen sind.

Eine Mailbox ist eine Art Wohnzimmerfirma. Oder ein schwarzes Brett, das informiert und an das jeder seine Nachricht pinnen darf. Ein Büro ist nicht unbedingt erforderlich, einzig und allein dreierlei: ein Computer, ein Telefonanschluß und ein Modem, das die Informationen von Computer zu Computer schickt. Mailboxen sind idiotensicher einfach zu bedienen, es gilt nur, die Scheu vor der Technik zu überwinden.

Wer – zumal als Künstler – diese Hürde einmal genommen hat, kann für einen monatlichen Mitgliederbeitrag zwischen 10 und 25 Mark seinen Horizont erweitern. Oder den der anderen.

Die Kulturbox ist sieben Tage die Woche rund um die Uhr zu erreichen. In ihr finden sich Rubriken wie etwa „Klatsch und Tratsch“. So kann man erfahren, welche Veranstalter grottenschlechte Werbung machen oder warum Lutz und Hans, die Macher von Spiegelzelt und Bar jeder Vernunft, zur Zeit so schlecht gelaunt sind. Wer als Informant unerkannt bleiben möchte, kann Lästereien, Gerüchte und Interna auch unter einem Pseudonym streuen.

Nicht nur fürs Amüsement haben die Herren Kuhnle und Specht die Kulturbox erfunden, sondern auch zur Karriere-Förderung. In ihrer Mailbox finden sich die aktuellsten und umfassendsten Förderungs- und Stipendientips, wer wo wie was beantragen muß, um als Fotograf, Maler, Bildhauer oder Performance-Aktivist ein Jahr auf Kosten anderer zu künsteln.

Junge Galeristen können sogar in Bildern schmökern, die die Urheber in das Kulturbox-Mailsystem eingescannt haben. Bühnenbildner skizzieren ihren künstlerischen Werdegang, und manche Theatergruppe ist dankbar, auf diese Art jemanden engagieren zu können. Tourneeveranstalter erfahren die Auftrittstermine von Musikgruppen und können so gezielter den eigenen Kalender komplettieren. Organisatoren informieren sich über Grundrisse von Veranstaltungsorten, was ihre Planung erheblich vereinfacht. Besonders praktisch: eine umfangreiche Kartei, in der Adressen von Künstlern, Gruppen, Agenturen, Kulturbüros, Veranstaltern, Museen und Galerien gesammelt werden.

Und erst letztens rief ein Reisebüro bei den kulturellen Mailboxern an, um zu erfahren, was in Berlin am 18. Dezember passiert. An diesem Tag wird eine Touristentruppe die Stadt heimsuchen, das Reisebüro soll die Programmgestaltung übernehmen.

Inzwischen ist auch der Kultursenat auf die profitable Box aufmerksam geworden. Specht und Kuhnle verhandeln zur Zeit noch, ob und wie sie dem Kultursenat Platz machen für dessen Nachrichten. Auch die Amerika-Gedenkbibliothek möchte mitmachen: Künftig soll zwischen den Büchern ein Computer stehen, und die Leseratten können dann in der Kulturbox „blättern“.

Denn die ist auch für Veranstaltungstips gut. In ihr finden sich bereits Tips, die Sie in tip und zitty vergeblich suchen: Am kommenden Sonntag, den 1. August, begeht das Kumpelnest den Schweizer Nationalfeiertag mit Rotkreuz- Fähnchen und Travestie-Performance. Hinter der Theke bedienen, unter anderen, Käthe Kruse (Tödliche Doris), und aus den Lautsprechern schallen Yellow und Grauzone („Ich möchte ein Eisbär sein“).

Weitere Informationen bei Otto Kuhnle und Jürgen Specht unter

Fon:030/688 57 55

Fax:030/688 59 57

Mailbox 1:030/396 44 61

Mailbox 2:030/396 44 71