Stirnband weg, Haare ab

■ Am 4. August beginnt in Toronto die Weltmeisterschaft im Basketball. Mit dabei: Henning Harnisch (25) aus Leverkusen / Ein Gespräch mit dem Europameister von 1993

taz: „Flying“ Henning Harnisch, der Mann mit den langen Haaren und dem Stirnband, auf dem Weg zur Weltmeisterschaft und jetzt das: Stirnband weg, Haare ab. Wie konnte das passieren?

Henning Harnisch: Die Haare waren einfach kaputt. Ich sage nur: Spliß!

Oje...

Und jetzt merke ich, daß es ziemlich lange dauert, die Haare wieder wachsen zu lassen. Das war ein extremer Fehler.

Deine Fans können aufatmen, das Haar soll wieder wachsen?

Wenn das hinhaut, ich habe nämlich extreme Geheimratsecken.

Vom PR-Standpunkt war das doch Selbstmord – der am besten erkennbare deutsche Basketballer...

Moment mal! Ich hoffe ja doch sehr, daß die Leute sich mit mir wegen der Spielweise identifizieren und nicht wegen der Haare. Obwohl es natürlich wirklich interessant ist, welchen Unterschied das macht.

Niemand erkennt Dich mehr?

Wirklich. Ich werde viel weniger angesprochen, es ist alles viel anonymer.

Traurig...?

Blödsinn, eigentlich sollte ich sie kurz lassen.

Was denn nun: kurz oder lang?

Lang gefällt mir einfach besser. Können wir mit dem Haarthema jetzt mal aufhören.

Nee, weil...

Also gut. Vielleicht hat es auch eine Rolle gespielt, daß ich mich von meinem Image etwas distanzieren wollte. Früher hatte ich gedacht, daß ich mich da selber darstellen könnte. Aber wenn ich das zurückverfolge, was draus geworden ist...

Der interessante Typ, hört coole Platten, hängt auf Konzerten der richtigen Bands rum, ist natürlich Kriegsdienstverweigerer, steht auf Amerika und spricht Italienisch...

Ja, da bleiben nur noch Klischees übrig. Das interessiert mich nicht. Und jetzt habe ich sowieso meinen Rentenvertrag bei Bayer Leverkusen unterschrieben.

Rentenvertrag?

Weil der fünf Jahre läuft, bin ich für meine Kollegen nur „der Rentner“.

Und das, obwohl Du Dich schon häufiger gewunden hast, für den Chemie-Multi zu spielen.

Ich spiele halt unterm Bayer- Kreuz, das ist meine große Sünde. Aber mein Hauptthema, mein Beruf, ist Sport. Entweder steigt man aus, oder man verkauft sich. So ist das halt.

Aber Bayer ist schon ein besonderes Kaliber.

Auch wenn Bayer immer als Plastikklub kritisiert wird, ist das bei den Basketballern doch noch ein bißchen anders. Da stimmt von den Strukturen her eigentlich alles. Dazu gibt es in Deutschland keine Alternative.

Warum hast Du das Angebot ausgeschlagen, Charlie Steebs Nachfolger als „Milchschnitte“ zu werden?

Bayer reicht. Ich will nicht mehr machen.

Und deshalb quälst Du die PR- Abteilung von Nike, indem Du sagst, daß man auch in ollen Converse-Leinenschuhen spielen kann, oder Adidas, daß die Schuhe nicht gut genug sind.

Das Thema lassen wir mal besser aus. In der Nationalmannschaft müssen wir mit Adidas-Schuhen spielen. Und die sind halt ... gut.

Auch die Schuhe haben Euch im letzten Jahr auf dem Weg zum Europameistertitel nicht stoppen können. War der Sieg aber nicht so was wie ein positiver Betriebsunfall?

Das ist natürlich etwas hämisch formuliert, aber hätte Christian Welp im Viertelfinale gegen Spanien den letzten Wurf nicht reingemacht, dann hätte niemand über uns geredet. Inzwischen sehe ich den Titelgewinn fast als Manko.

Warum?

Wir werden zu stark an diesem Titel beurteilt. Oberflächliche Beobachter halten uns für europäische Spitze, was wir nicht sind. Wir haben schon im letzten Jahr nicht rund gespielt. Jetzt sind neben sechs alten Spielern noch sechs neue dabei, mit Dirk Bauermann ein neuer Trainer, das läuft noch etwas holprig.

Hier wird aber tiefgestapelt.

Nein, die meisten Leute glauben, daß wir ins Viertelfinale kommen, aber in der Mannschaft selber sehen wir das kritischer.

Fürchtet Ihr Eure Gegner so sehr?

Ägypten werden wir wohl schaffen. Aber Puerto Rico ist sehr stark, mit vielen Spielern, die in US-Colleges spielen oder als Profis in Spanien. Griechenland haben wir zwar in den letzten Jahren meist geschlagen, aber die sind stark und sehr eingespielt. Gegen die spielen wir zuerst. Weil nur die ersten beiden Teams weiterkommen, können wir das Viertelfinale schon fast abschreiben, wenn wir das verlieren. Dann müßten wir um die Plätze neun bis 16 spielen. Das ist grausam.

Ist es für Dich ein Problem, Deinen Vereinstrainer Dirk Bauermann auch als Nationaltrainer zu haben?

Man ist halt das ganze Jahr zusammen...

...und das nutzt sich ab.

Genau. Aber er ist Profi, ich bin einer, und wir haben eine harmonierende Zweckgemeinschaft. Das geht schon. Hätten wir jetzt so eine Ami-Heißkiste, so einen jungen College-Coach, der mit Schaum vor dem Mund ankommt, das würde bei mir nicht mehr laufen. Von daher ist es optimal.

Aber die Suche nach einem Bundestrainer per Ausschreibung in der Verbandszeitschrift war nicht gerade ein Glanzstück?

So was hat keinen Stil. Wir Spieler werden professioneller, die Klubs auch, nur von Seiten des Verbandes ist das noch so typisches deutsches Funktionärstum. Deshalb müssen wir uns als Spieler auch bald mal organisieren.

Eine Spielergewerkschaft gründen?

Genau. Im Fußball und Eishockey gibt es das schon. Von den Strukturen unseres Sports sind wir sowieso als nächste dran.

Wer macht's?

Nachts in der Kneipe bin ich immer der erste. Da gab es die Gewerkschaft sogar schon. Wir waren echt gut. Ich war auch schon Vorsitzender. Aber morgens früh war dann leider nichts mehr übrig.

Was wäre denn vordringlich zu regeln, Herr Vorsitzender?

Es müßte eine Transferstelle eingerichtet, Versicherung geregelt, Vertragsabschlüsse offener werden. Außerdem steht seit letztem Sommer in unseren Verträgen, daß wir in der Nationalmannschaft spielen müssen. Falls wir uns weigern, kommen Geldstrafen oder Sperren auf uns zu. Das ist eine ganz einseitige Sache.

Ist das denn schon angewandt worden?

Noch nicht. Aber ich spiele seit acht Spielzeiten fast das ganze Jahr über Basketball. Da wird man irgendwann müde, auch im Kopf. Und körperliche Auswirkungen hat es auch, die Verletzungsgefahr steigt. Ich hatte ein katastrophales Jahr, zweimal einen doppelten Bänderriß an der gleichen Stelle, am linken Knöchel, eine Nagelbettentzündung, Rißwunde an der Hand. Ich habe nur ein Viertel der Saison gespielt, das waren Warnzeichen. Die amerikanischen Profi-Ligen haben vier Monate Pause, und wir spielen elf Monate im Jahr. Da geht man auf Dauer kaputt. Außerdem möchte ich in den nächsten zwei Jahren im Nationalteam pausieren, weil ich eine Ausbildung machen will.

Welche?

Buchhändler. Und weil ich nicht zur Berufsschule gehe, brauche ich im Sommer jeweils acht Wochen für die Buchhändlerschule. Der Verein hat das auch problemlos akzeptiert. Ich möchte wirklich nicht heulen, daß wir überlastet sind. Aber wir haben bisher immer noch freiwillig in der Nationalmannschaft gespielt und es gerne getan. Das sollte auch so bleiben. Ich muß jetzt aber mal los.

Wo geht's denn hin?

Ich muß noch zum Friseur. Aber es werden nur die Spitzen geschnitten. Interview: Christoph Biermann