: Überblick im TV-Wirrwarr
Bringt der Herbst ein Programmzeitschriften-Massaker? ■ Von Tilman Baumgärtel
500 Fernsehprogramme prophezeien Medienexperten für die Zukunft. 500 Programmzeitschriften hat bislang noch niemand angekündigt, aber das schaffen die deutschen Medienkonzerne auch noch: Großverlage wie Gruner+Jahr, Springer und Bauer arbeiten zur Zeit an fünf neuen Fernsehzeitschriften, die alle im Herbst herauskommen sollen.
Über die Blattkonzeptionen schweigen sich die Verlage derzeit noch aus. Bisher sind nur Arbeitstitel bekannt: Nummer 1 heißt die Neue von Gruner+Jahr. Bei Bauer wird unter dem vorläufigen Titel Feuer an einem „Nachrichtenmagazin neuen Typs“ gearbeitet, das einen umfangreichen Programmteil bieten soll; außerdem plant man zwei „Programmies“, wie die TV-Zeitschriften in der Branche heißen: eine für eine jüngere und eine für eine ältere Zielgruppe. Bei Springer wartet man erst mal ab, hat aber angeblich schon ein fertiges Heftkonzept in der Schublade, das man in wenigen Wochen herausbringen könnte, wenn sich ein Erfolg der Konkurrenz abzeichnen sollte.
Das hat Springer auch nötig, denn Hör zu und Funkuhr, die beiden TV-Zeitschriften-Flaggschiffe des Konzerns, mußten in den letzten Jahren empfindliche Auflagenverluste hinnehmen: Seit 1981 gingen die Verkäufe um über eine Million Exemplare auf heute zweieinhalb Millionen zurück. Ein Ende des LeserInnenschwunds ist nicht in Sicht. Das Springer-Management, das seit einigen Jahren vorwiegend mit internen Intrigen und Machtkämpfen befaßt ist, hat die Entwicklung auf dem Programmzeitschriften-Markt vollkommen verschlafen: Mitte der Achtziger machten sich in diesem Bereich Billigblätter wie die 2, Bildwoche und auf einen Blick breit. Letztere ist in Deutschland übrigens die wöchentliche TV- Zeitschrift mit der höchsten Auflage!
Wirklich ernst wurde die Lage, als der Hamburger Verlag Milchstraße (Cinema, Fit for fun) mit TV Spielfilm auf den Markt kam. Das Blatt hat in den letzten vier Jahren eine Auflage von zwei Millionen erreicht. Übertroffen wird das nur noch von der dreisten Kopie TV Movie aus dem Bauer-Verlag. „Bauer ist immer Zweiter und immer billiger“, spottete man in der Branche. Tatsächlich war TV Movie mit einem Preis von 2,30 DM lange um 20 Pfennig billiger als TV Spielfilm und zog so der Konkurrenz LeserInnen ab. Doch nicht nur der anfänglich günstigere Preis der Marktneulinge kostete etablierte Titel wie Hör zu oder Gong Auflage. TV Spielfilm und TV Movie richteten sich an eine junge Generation von Fernsehzuschauern, denen die tantenhaften Zeitschriften-Veteranen zu altbacken waren. Beide Blätter bieten einen übersichtlicheren Programmteil, der mehr Service und Information über Spielfilme liefert. Die jungen Leser machten TV Spielfilm und TV Movie auch zu den Lieblingen der Werbeindustrie, die in den Zeitschriften wie verrückt Anzeigen schaltete, auf die Hör zu oder Gong jetzt verzichten mußten.
Gleichzeitig wurde das Fernsehprogramm durch immer neue Kanäle immer größer und unübersichtlicher. Zeitschriften, die Überblick ins TV-Wirrwarr zu bringen versuchten, wurden immer wichtiger. Darauf spekuliert besonders Gruner+Jahr, deren Nummer 1 sich vor allem an Leser richten soll, die bisher keine TV- Zeitschriften lesen: „Zukunfts- und informationsinteressierte junge Leser“ visiert das Blatt laut Chefredakteur Andreas Schmidt (Ex-TV Movie) an, eine Art „Info- Elite“ unter den TV-Zeitschriftenlesern also. Ob diese Klientel tatsächlich existiert, werden die nächsten Monate zeigen.
Schon jetzt ist abzusehen, daß es im Herbst an deutschen Kiosken zu einem wahrhaften Zeitschriften-Massaker kommen wird: Außer den vier „Programmies“ werden Bauers Feuer, die G+J-Neugründung Tango und eventuell Focus 2 (Arbeitstitel) vom Burda- Verlag am Donnerstag den Kampf gegen einen rundumerneuerten Stern aufnehmen. Auch wenn der erfolgreiche Start von Focus gezeigt hat, daß der deutsche Zeitschriftenmarkt noch aufnahmefähig ist, ist es äußerst unwahrscheinlich, daß alle neuen Blätter die ersten Monate überleben werden.
In Zukunft könnte das Fernsehen freilich auch die Fernsehzeitschriften überflüssig machen: Seit einigen Wochen liefert Pro 7 via Bildschirmtext ein tagesaktuelles TV-Programm. Außerdem soll noch in diesem Jahr mit Zap-TV (taz vom 20.6.) ein spezieller Fernsehprogramm-Spartensender auf Sendung gehen, der nicht nur das gesamte Wochenprogramm zeigt, sondern auch Spielfilm-Ausschnitte. Und das kann bisher noch keine Programmzeitschrift.
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