Hessen ruft ersten Ozonalarm aus

Tempolimits auf Autobahnen und Landstraßen angeordnet / Wer sich nicht daran hält, wird nur ermahnt / Pannen bei der Umsetzung / Töpfer spricht von „Symbolpolitik“  ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt

Weil der hessische Umweltminister Joschka Fischer vor dem Sommersmog an die toskanische Adriaküste flüchtete, durfte Staatssekretär Rainer Baake am Dienstag abend den unikaten Ukas der Landesregierung verkünden: „Da der Wetterdienst eine austauscharme Wetterlage meldet und deshalb mit einem weiteren Anstieg der Ozonkonzentration gerechnet werden muß, hat Hessen um 17.30 Uhr die in der Ozonverordnung vorgesehenen Geschwindigkeitsbeschränkungen in Kraft gesetzt.“ Mit der erstmals in einem Bundesland angewandten Sommersmogverordnung gilt vorerst ein landesweites Tempolimit von 90 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen.

Der Countdown für die Umsetzung war schon eine halbe Stunde vorher angelaufen. Denn exakt elf Meßstationen im Rhein-Main-Gebiet hatten gegen Mittag die für die Alarmauslösung notwendigen Ozonkonzentrationen von mehr als 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft vermeldet. Doch die Bediensteten in den Autobahnmeistereien, die vorbereitete Transparente mit den angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen anbringen sollten, lagen da schon in den Schwimmbädern. Und wer von den AutofahrerInnen nicht gerade das Radio eingeschaltet hatte, erfuhr nichts von dem Ozonalarm und den angeordneten Temoplimits.

Daß Fehler gemacht worden seien, räumte Staatssekretär Baake bereits knapp zwei Stunden später im Fernsehen ein. Aus den Fehlern, so Baake, könne man nur lernen und es in Zukunft dann besser machen. Daß die gesamte Ozonverordnung, wie von Ärzten und Umweltschützern moniert, ein Fehler sei, wollte Baake allerdings nicht eingestehen. Zwar sei der für die Auslösung des Sommersmogalarms festgeschriebene Grenzwert von 240 Mikrogramm eine „maximale Obergrenze“. Ein niedrigerer Grenzwert sei jedoch, insbesondere nach dem Sperrfeuer aus Bonn, nicht durchsetzbar gewesen. Nicht nur Kinderärzte halten bereits eine Ozonkonzentration von 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für „extem schädlich“. Darüber hinaus, so Baake, laufe gegen die Landesregierung in Sachen Ozonverordnung ein Ermittlungsverfahren. Ein Advokat aus Wiesbaden, der sich durch die Verordnung in seiner freien Persönlichkeitsentfaltung als Autofahrer behindert sieht, hatte die Regierung verklagt.

Den AutofahrerInnen, die sich nicht an die angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen halten, wird es vorerst nicht an den Geldbeutel gehen. Noch zwei Jahre lang setzt man in Wiesbaden auf deren Einsicht. Erst danach sollen bei Verstößen Bußgelder erhoben werden. Am Mittwoch morgen auf der zweispurigen B 43 zwischen Rüsselsheim und Kelsterbach/Flughafen: Wie immer rasen die schnellen Flitzer den Highway am Mainufer entlang. Wer sich mit Tempo 80 auf die Überholspur wagt, wird gnadenlos mit der Lichthupe verscheucht. Und selbst Lastwagen brettern an den AutofahrerInnen vorbei, die sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen halten. Kurz vor Kelsterbach dann eine Polizeikontrolle. Ein Trucker wird kurz aus dem Verkehr gezogen und von den Beamten freundlich ermahnt. Von der hessischen Ozonverordnung und dem angeordneten Tempolimit will er „nix gewußt“ haben. Auf der Autobahn Köln–Frankfurt hielten sich gestern morgen die meisten AutofahrerInnen an Tempo 150 als „Richtgeschwindigkeit“ – trotz der schönen Transparente der Autobahnmeistereien.

Die Grünen im hessischen Landtag lobten dagegen das „Umweltbewußtsein“ der hessichen Bevölkerung. Rund 80 Prozent der AutofahrerInnen würden sich „nach Angaben der Polizei“ an die Tempobeschränkungen halten. Die oppositionellen hessischen Christdemokraten behaupteten dagegen glatt das Gegenteil – auch „nach Angaben der Polizei“. Die Behörde selbst meldete gestern, die Akzeptanz des Tempolimits sei seit der Verkündung des Ozonalarms von 30 auf rund 80 Prozent gestiegen.

Anyway: Die hessische Sommersmogverordnung mit ihren unverbindlichen Empfehlungen an die AutofahrerInnen scheint dennoch so attraktiv zu sein, daß etwa die Bündnisgrünen in Rheinland- Pfalz ihre SPD/FDP-Landesregierung aufforderten, umgehend mit Hessen gleichzuziehen. Immerhin verbindet etwa die Weisenauer Autobahnbrücke über den Rhein beide Bundesländer miteinander – und nicht nur das. Der bundesweit höchste Ozonwert wurde nicht in Hessen, sondern in Rheinland- Pfalz gemessen: 370 Mikrogramm am 3. Juli in Wörth am Rhein.

Für Bundesumweltminister Klaus Töpfer dagegen ist der Ozonalarm nur „Symbolpolitik“. Er kündigte eine Initiative der Bundesregierung zur Einführung von „umweltfreundlichem Benzin“ mit geringerem Benzolgehalt bei der EU an. Und falls sich die anderen EU-Staaten innerhalb von sechs Monaten nicht willig zeigen sollten, will Töpfer den Alleingang wagen – so wie Seehofer beim Rinderwahnsinn?