Euphorisch in den Massentod

■ Museum für Hamburgische Geschichte: Von „Menschenschlachthaus“ und „Stahlgewittern“

„Das eiserne Kreuz - Geduldsspiel für Verwundete“, quadratisch, praktisch und klein genug für den Feldranzen ist das Puzzle aus schwarzer Pappe, das den deutschen Soldaten im 1. Weltkrieg im Lazarett die Langeweile vertreiben sollte. Das lustige „Belagerungsspiel“ sorgte im Schützengraben für Kurzweil. Auch das „Mensch-ärger-dich-nicht“-Spiel ist ein Kind dieser Zeit. Diese Leihgaben des Deutschen Spielemuseums sind ab heute in der Ausstellung Von „Menschenschlachthaus“ und „Stahlgewittern“ – Visionen und Realität im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen. Im Anschluß an die – zur Dauerausstellung gewordenen – Schau Hamburgs Weg in den Feuersturm setzt das Museum nun seine Reihe zur Geschichte des 20. Jahrhunderts fort.

Die harmlosen Spielchen täuschen nicht darüber hinweg, daß mit dem 1. Weltkrieg die Technisierung des Mordens voranschritt, die – mit nationalistischem Pathos verbrämt – von industriellen und politischen Kreisen betrieben wurde. Giftgas machte den „Tod vom Klein- zum Großbetrieb“, Unterseeboote, die Torpedos abschießen konnten, wurden gebaut, Zeppeline erstmals für einen Luftkrieg eingesetzt, und in England träumten die Strategen von „Landkreuzern“, auch Panzer oder Tanks genannt.

Den Titel bekam die Ausstellung nach zwei sehr konträren Romanen: 1912 beschrieb der Hamburger Lehrer und Reformpädagoge Wilhelm Lamszus in seinem Buch „Menschenschlachthaus“ die technischen Möglichkeiten der Kriegsmaschinerie und sah darin die Scheußlichkeit des Krieges voraus. Zu dem - ebenfalls ausgestellten - Maschinengewehr-Typ MG 08, mit dem Soldaten gleich reihenweise hingemäht werden konnten, schrieb er: „Der Tod hat die Sense aus der Hand gelegt und ist Maschinist geworden“. Heftig wurde Lamszus im wilhelminischen Hamburg dafür angegriffen, während in vielen Schulen die Schüler zum Krieg aufgehetzt wurden. Weitaus berühmter sind aber heute noch die Lobessalven aufs maschinelle Morden, die Ernst Jünger nach Kriegsende in seinem Roman „In Stahlgewittern“ abschoß.

Die von Industrie, Politik und Künstlern geschürte nationale Begeisterung sollte die Bevölkerung mit – wenngleich noch ungeschickter – gezielter Propaganda über die Diskrepanz zwischen großdeutscher Euphorie und den unbeschreiblichen Schrecken des Krieges hinwegtäuschen, was anfangs auch gelang. Der leicht debile Wilhelm Zwo, der Hamburg als Ausflugsort schätzte, wurde inbrünstig verehrt. Die damalige Lebenssituation verdeutlicht ein enges Wohnzimmer. Heimatliche Genre-Bilder hängen an den Wänden, ein Grammophon spielt Märsche und Reden von Kaiser Wilhelm II. und in beigestellten Vitrinen findet sich eine Auswahl – überwiegend – gereimter Kriegshetze. Der noch heute in Hamburg hochverehrte – warum nur? – biedermeierliche Verseschmied Richard Dehmel schrieb damals an seine Kinder, daß man so „ein herrliches Erlebnis nicht zu teuer mit dem Tode bezahlt“.

Ein nachgebauter Schützengraben, der noch nach Fichtenstämmen riecht, gibt einen Eindruck, wie es sich unterm Drahtverhau in der Feldküche aus acht Backsteinen kochen ließ. Drei Gewehre aneinandergelehnt und mit einem Stahlhelm behütet, zeigen, wie sich die Soldaten einen Pappkameraden zur Seite stellten, um nicht selbst abgeknallt zu werden.

8,5 Millionen Menschen starben im 1. Weltkrieg, aber „auch nach dem Ersten Weltkrieg verfolgte dieser alldeutsche Verein seine kolonialen Ziele und seine auf pseudowissenschaftlicher Basis erstellte Rassenideologie weiter“, erläuterte gestern Jörgen Bracker, Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte. Eine begleitende Illustrierte zur Ausstellung kann aus Personalmangel erst in wenigen Wochen erscheinen.

Julia Kossmann

Museum für Hamburgische Geschichte, bis 20. November