Friede den Hütten

■ Im Zeichen der Zensur: Zhang Yimous filmische Familienchronik „Leben!“ blickt zurück auf den Alltag der Revolution in China - nicht zornig, aber durchtrieben

Herrliche Reiter, schmucke Offiziere und Edeldamen: Glied für Glied sollen die prachtvollen Schattenspielfiguren auseinandergenommen werden; die Partei braucht Altmetall, um neue Kugeln zu gießen. Da kommt Fugui, dem Schattenspieler, der rettende Einfall: „Könnte ich mit meinen Figuren nicht die Idee der Revolution propagieren?“ Der Ortsvorsteher stimmt zu, und die Schattengestalten aus Kaiserszeiten tanzen fortan für Mao. Die Anekdote ist beispielhaft – wie manche Begebenheit am Rande von „Leben!“, dem neuen Film des chinesischen Filmemachers Zhang Yimou: Es sind die kleinen Geschichten des Alltags, mit denen er die große Geschichte der Revolution erzählt – und konterkariert.

So präsentiert sich dieses „Leben“ nicht als der große, farbenprächtige Bilderbogen, den mancher Cineast vielleicht erhofft hatte. „Ich will jenes China zeigen, das im Alltag verwurzelt ist“, sagt Zhang Yimou über seinen Anspruch; „das Schicksal einer ganz gewöhnlichen Familie.“ Ein nüchterner Ton herrscht nun vor, wo der Filmemacher zuvor in fetten Farben und stark stilisierten Sets schwelgte. Sein „Leben“ bietet keinen Kulissenzauber, sondern erzählt sehr genau und einfühlsam ein Familienschicksal – als Beispiel für die „Millionen chinesischer Familien, die seit einem halben Jahrhundert besonders schmerzvollen Prüfungen ausgesetzt sind“.

Ein Familien-Melodram also. Das klingt nun herzlich unpolitisch. Tatsächlich kann Yimou seine Arbeit scheinbar noch halbwegs an die Öffentlichkeit bringen, während jüngere Filmemacher unter der eben wieder verschärften Zensur leiden: „The Blue Kite“, ein thematisch vergleichbarer Film, wurde nicht nur verboten; sein Regisseur Tzian Zhuangzhuang kam Anfang April auf eine schwarze Liste des Filmministeriums – keines der 17 Filmstudios der Volksrepublik darf ihm nun mehr Drehmöglichkeiten geben. Gleiches gilt für Produktionsfirmen und Geräte-Verleiher. Kein Meter Filmmaterial mehr für die Aufrührer. Nach einem kurzen Kulturfrühling bestimmt die Angst der Ministerien vor der Macht des Films wieder den Produktionsalltag. Unter diesen Bedingungen liest sich auch dieses „Leben“ anders: nicht als biederes Melodram, sondern als ein sensibles Porträt, das den Vergröberungen der offiziellen Geschichte entgegensteht.

So gelingt es Yimou tatsächlich, aus der Not eine Tugend zu machen. Er beschränkt sich zwar auf Anekdoten und Alltagsgeschehen – aber in jeder kleinen Geschichte steckt soviel Kraft, Humor und Lebensmut, daß sie die Absurditäten der Parteipolitik fast restlos überstrahlt.

Da kommt die Form des Melodrams dem Anliegen gerade recht. Denn hier dürfen schließlich nicht nur die großen Gefühle der kleinen Leute toben; hier ist auch Platz für gelegentliche Übertreibungen und für schwarzen Humor. So wird das Leben von Fugui, seiner Frau Jiazhen und ihren Lieben immer wieder von seltsamen bis drastischen Szenen durchkreuzt. Das Schattentheater spielt mal vor glücklichen Bauern, mal vor grimmigen Soldaten auf dem Schlachtfeld und mal vor den Arbeitern in der dampfenden Munitionsfabrik: Fugui trägt's mit Fassung. Ins Schwarze schießt die Stimmung, als die Tochter des Hauses bei der Entbindung im volkseigenen Kreißsaal verblutet. Die ratlosen Parteischwestern verstehen nichts vom Leben; rasch wird ein eben noch verbannter Medizinprofessor herbeigekarrt, der aber ebenso nutzlos ist: Der halb verhungerte Doktor hat sich gerade überfressen und hält sich den Blähbauch, während nebenan die junge Mutter unter Schmerzen stirbt.

Solche eindeutig grotesken Szenen sind allerdings rar. Viele der feinen Übertreibungen und Anspielungen lassen sich für das hiesige Kinopublikum wohl nur erahnen: „Einige Aspekte mögen Sie als Europäer verstanden haben“, sagte Yimou in einem Interview im vergangenen Jahr zu einem Journalisten, „es gibt andere, die sich nur einem Chinesen mitteilen.“ Das gilt hier sicherlich für die Darstellung der Parteifunktionäre, die auf den ersten Blick seltsam freundlich ausfällt. Maos Antlitz strahlt allenthalben an den Häuserwänden; die Volksküche dampft und brodelt fröhlich und gibt selbst in Hungerzeiten reichlich Nudeln aus; und wenn die Familie gerade mal einkaufen ist, dann streicht ein Komleimittee heimlich die ganze Hütte neu – man glaubt es kaum. Aber genau so funktioniert dieser Film. Dramatische Aufrufe zum Umsturz, die derzeit tödlich wären, liefert er nicht. Aber in solchen Zeiten ist eine Forderung wie Fuguis Wunsch, „ein ruhiges Leben zu führen“, schon ein Politikum: In diesem „Leben“ zählt der Einzelne mit seiner Geschichte, nicht die Partei. Thomas Wolff

Schauburg, täglich um 18, 20.30 und 23 Uhr