Kahlschlag in Mitte
: Rätselraten um den Abriß

■ taz-Serie (Teil 9): Alle wehren sich gegen den Abriß der Nordhalle des Bahnhofs Friedrichstraße: das Bezirksamt, der Senat, aber auch der vermeintliche Übeltäter

Komödie oder Tragödie? Erhalt oder Abriß? Alle streiten? Alle wollen dasselbe? Zumindest der Bahnhof Friedrichstraße, heißt es nun, soll erhalten werden. Offiziell.

Doch der Reihe nach. Unter der laufenden Nummer 74 registrierte das Bezirksamt Mitte den angedachten Abriß in der Friedrichstraße 14–17a, der Nordhalle des S-Bahnhofs. Ein Baudenkmal, wie der gesamte Bahnhof. Die für die Stadtbahngleise gedachte Nordhalle wurde gleichzeitig mit der größeren Fernbahnhalle in den Jahren 1919 bis 1925 von Carl Theodor Brotführer anstelle der alten Halle aus dem Jahre 1882 erbaut. Heute jedoch ist selbiger Bahnsteig vor allem ein Ärgernis. Wer von dort nach Erkner fahren möchte, erlebt nicht selten, daß ein anderer Zug in diese Richtung gerade eben vom benachbarten Bahnsteig unter der Haupthalle abfährt. Doch damit soll bald Schluß sein. Im Zusammenhang mit dem Ausbau des Bahnhofs Friedrichstraße zum Regionalbahnhof sollen die Gleise unter der Nordhalle überflüssig werden. Und die Halle selbst?

„Kein Abriß unter dieser Nummer“, wehrt sich das Bezirksamt. „Auf keinen Fall werden wir dem Abriß der Halle zustimmen“, erklärt Senator Volker Hassemer. „Die Halle muß unbedingt erhalten werden“, fordert die Siegerin des städtebaulichen Wettbewerbs Friedrichstraße, Johanne Nalbach. Und die Bahn AG? „Aus Sicht der Bahn AG“, formuliert Bahnsprecher Wilfried Modeshahn, „ist kein Abriß vorgesehen.“ Wirklich nicht? „Offiziell“, ergänzt der Bahnsprecher, „wollte die Bahn die Halle nie abreißen.“ Und inoffiziell? „Offiziell ist offiziell.“ Der gesamte Bahnhofsbereich der Stadtbahn, so Bahnsprecher Modeshahn, werde im Zuge der Sanierung zwischen 1994 und 1997 saniert und der Bahnhof Friedrichstraße zum Regionalbahnhof umgebaut.

Sollte sich der ungewollte Abriß der Bahnhofshalle tatsächlich als Kömodie erweisen, sie wäre nicht die erste: Anfang des Monats besetzten mehrere Jugendliche ein leerstehendes Fabrikgebäude in der Köpenicker Straße in Mitte. Der von der Polizei herbeigerufene Vertreter der Eigentümer freute sich, bot ihm die Besetzung doch Gelegenheit, vor der Presse die tatsächlichen Baupläne vorzustellen. Wohnungen auf dem Freigelände zur Straße, Wohnungen selbst im Fabrikgebäude, das selbstredend erhalten bleibe. Gerne lud er die BesetzerInnen in sein Büro und zeigte ihnen dort die Baupläne. Einen Abriß, versicherte er, habe er nie erwogen. Im Bezirksamt Mitte hingegen nahm man den Gesinnungswandel des Eigentümers mit Gelächter zwar, aber freudig zur Kenntnis. Hinter den Kulissen monatelange Verhandlungen, nach außen zahm wie die behutsamen Stadterneuerer. So schön kann Gegenöffentlichkeit sein. Uwe Rada

Die Serie wird am Mittwoch mit einem Hintergrundbericht über die Berliner Denkmalpflege abgeschlossen