Zwischen den Rillen
: Wohnzimmerblitze

■ Paranormale Tonbandstimmen mit Guided By Voices

Guided By Voices ist kein Symptom einer manifesten oder drogeninduzierten Psychose, sondern der Name einer Band aus der amerikanischen Provinz: aus Dayton in Ohio.

Wie es scheint, hat man es dort nicht allzu eilig, im Pantheon der Popmusik zu landen, denn Guided By Voices existieren schon seit fast einem Jahrzehnt. In diesem gelang es der Band ziemlich konsequent, sich dem prosperierenden Indie-Business zu verweigern und in aller Abgeschiedenheit eine Menge Platten zu machen, welche in Selfmade-Miniauflage an Freunde und ein paar Interessierte gingen. Allerdings wird auch für so jemand mal die Zeit (über-)reif, und „Bee Thousand“, neben zahlreichen Singles-Veröffentlichungen das achte Album von Guided By Voices, wird nun auf einem größeren Label veröffentlicht – mit möglicherweise auch in Europa funktionierendem Vertrieb.

Homerecording hin, „Losercore her“: Guided By Voices passen momentan wie die Faust auf das trendgeplagte Auge, sind die bandgewordene Verkörperung von heimisch ausgedachter und eingespielter Musik. Ihre Tonträger nehmen sie durch die Bank auf Vier- oder Acht-Spur- Geräten auf, in schön mieser Aufnahmequalität rumpelt, pfeift, fiept und fistelt es in allen Ecken und Höhenlagen.

Robert Pollard, Kopf, Klammer und Haupt-Songwriter dieser vielköpfigen Band, hält Low- Fi-Recording einmal für „ästhetischer“ und „cooler“ als die Sauber-Tech-Produktionen, hat zum anderen auch eine ganz praktische Begründung parat: „Manchmal flattern die Ideen durchs Wohnzimmer; nett, wenn man was zum Festhalten drin stehen hat.“

Aber das sind auch Einfälle, Schnipsel und Kurzgedanken, die Pollard da in aller Schnelle in Musik umsetzt und produziert! Musik, die man sofort wiederzuerkennen meint, die man Jahre nicht mehr gehört hat – und plötzlich: Lieblingsband revisited, Erinnerung und Zeit wiedergefunden! Für diese Band steigen John Lennon, Syd Barrett oder der leider auch schon in so mancher Senke verschwundene Dan Tracy (von den TV Personalities) aus ihren Gräbern, Anstalten und Vergessenheiten wieder hervor, übernehmen Patenschaften und Copyrights. Und freuen sich über wollüstige, melodiöse, psychedelisch verpopte Offenbarungen, über zahllose Songminiaturen aus sixtiesähnlichen Füllhörnern.

Guided By Voices unterstreichen das mit ihren wirren Covergestaltungen, wo auf engstem Raum mit kleinen, bunten Zeichnungen und Fotos die Texte vermeintlich entschlüsselt werden; alles Verweise und Histörchen allerdings, die mitten auf dem GBVschen Mikrokosmos kommen, und nur dort ihre Bedeutung entwickeln. Allein die Titel der Songs klingen wie aus tausendundeiner phantastischen Techno-Nacht: „Gold Star For Robot Boy“, „The Goldheart Mountaintop Queen Directory“, „Cool Off Kid Kilowatt“ oder „Big Fan Of The Pigpen“.

Wie bei den früheren Platten hat man aber auch bei „Bee Thousand“ nie den Eindruck, die Stücke seien unfertig, abgebrochen, liegengelassen und später vielleicht ausbaubar (was beispielsweise bei dem unlängst auf diesen Seiten gewürdigten Lou Barlow und seinen Sentridoh- Stückchen öfters der Fall ist). Fast alle sind kurz, aber formvollendet und supercharmant — kaum hat sich das melancholische Thema im Raum verflüchtigt, sehnt man sich nach seiner Wiederholung. Unvermittelt gehen die Songs ineinander über, einer schrummeliger, scheppernder und schöner als der andere. Verzichtet wurde diesmal bloß auf eine Art Collage wie auf der 92er Platte „Propeller“, wo ein Song namens „Back to Saturn X Radio Report“ (!) in neunzig Sekunden mindestens sechs verschiedene, bizarre Skizzen enthielt: eine kleine, wahnsinnige Welt, methodisiert und in den eigenen Produktionszwang kanalisiert.

Da wird das Wohnzimmer zum Blitzableiter und Autismus zu Pop. Vordergründig individualistisch und egozentrisch, sorgen Pollard und Co. jedoch für unübliche Gegenübertragung, geben Anstöße zu längst vergangenen Gefühlsproduktionen.

Und natürlich verspricht sich auch hier eine gequälte Seele über den Rock 'n' Roll Entlastung und ein wenig Heil. Bei allem Spinnertum in Text und Musik tritt einmal so etwas wie eine autobiographische Wahrheit zutage. In „I'm a scientist“ gibt Robert Pollard sein Credo preis: „I'm a lost soul, I shoot myself with rock 'n' roll, the hole I dig is bottomless, but nothing else can set me free.“ Gerrit Bartels

Guided By Voices: „Bee Thousand“ (Scat/ Matador Rec/ Rough Trade)