Gesichter der Vorstadt

Kommt „Fußball“ aus dem Transistor? Fest steht allenfalls, daß die jugendliche Delinquenz in Düsseldorf-Benrath an der Schwelle zu den siebziger Jahren etwas objektiv Netzer-haftes hatte, mit einer Umcodierung des Seitenscheitels befaßt war, die den an sich schmucklosen proletarischen Trikots und Westchen der Jungen oben im Bild einen Touch von Verwegenheit verleiht. Doch mehr verraten sie auch schon nicht, die Porträts des Künstler-Ehepaars Nothhelfer. Statt an „Aussagen“ zu kleben, stammen sie aus Streifzügen durch diverse Suburbanitäten – soziale Rätselkerne werden in „journalistisch“ wirkenden Bildern festgestellt. Der bei der Edition Braus erschienene Sammelband („Lange Augenblicke – die fotografischen Bilder von 1970– 1992, 108 Tafeln, 68 DM) setzt in und um Barcelona ein, um auf dem Umweg über Düsseldorf-Benrath in Berlin zu landen, wo sich das Nothhelfer-Werk zu einer Typologie des alltäglichen Stadtteilgesichts erweitert. „Freundinnen auf dem Deutsch- Amerikanischen Volksfest in Zehlendorf“ (unten), „Junges Paar auf dem Maifest in der Hasenheide, Neukölln“, „Junge am Eröffnungstag im Flughafen Tegel“, „Mädchen am Mischpult auf dem Evangelischen Kirchentag Tiergarten“ – die lapidaren Bildunterschriften geben keine empfindsame Nähe zum Vorstadt-Face zu erkennen, verirren sich aber auch nicht in vordergründiger Soziologisierung. Statt dessen stellen sie die Fanta-Flasche in den Vordergrund, die Moonwashed-Jacke, den Ohrstecker, der zweifelsohne schmücken soll, aber im Vergleich selbst mit Kaufhausmoden um mindestens drei Warengenerationen zurückliegt. Dieses Hoffnungslose, irgendwie Vormoderne der Gesichter und Kluften wird sich in Berlin vermutlich noch eine Zeitlang halten; doch sollte es je verlorengehen – dieser Bildband bringt alles zurück nach Hause. tg