Deutlich unter Weizsäckers Niveau

■ betr.: „Er weizsäckerte“, „Es wa ren nicht viele, aber es waren die Besten“ (Dokumentation der Rede Helmut Kohls zum 20. Juli), taz vom 21.7.94

[...] Es mag sein, daß Kohl ein paar Sachen gesagt hat, die für seine Reden untypisch sind, etwas mehr Kreide gefressen hat als üblich – er läßt sich sowieso nicht auf das, was er einmal gesagt hat, festnageln. Wieso also die Hoffnung, die ich herauslese aus einem „Den Satz sollte man sich merken, wenn wieder einmal...“?

Kohl wußte, daß seine Rede auch im Ausland gehört wurde und daß dort nach dem, was in diesem Land passiert und wieder alltäglich ist, Weizsäckerei gefragt ist. Warum diese ernst nehmen? Kohl hat einen Teil seiner Rede – von dem, was in der taz abgedruckt war, fast das letzte Viertel – auf eine im Ausland nicht für jedeN durchschaubare Art der aktuellen Innenpolitik gewidmet, den Koalitionsverhandlungen in Sachsen- Anhalt. Die Verbindung von innenpolitischem – wahlkämpferischem – Rumgeholze und nach außen liberal aussehendem Gesabber ist ihm dabei so gut gelungen, daß konkrete Ausfälle à la Volker Rühe völlig unnötig waren:

Er hat diese widerliche Gleichsetzung des „Extremismus von rechts und links“ mal wieder auf die Spitze getrieben, hat die von ihm verschwiegenen Opfer und die TäterInnen mal wieder in einen Topf geworfen. Alles zielte darauf ab, die PDS mit den Nazis gleichzusetzen und die SPD als ihre (der „neuen Nazis“) Steigbügelhalterin hinzustellen. Und in genau diesem Zusammenhang fiel dann das Wort vom Anstand und der Ruchlosigkeit – bestenfalls (!) will er Kontakte von FDP-, CDU- und CSUlingen mit Faschisten in Zukunft genauso böse finden wie die Tatsache, daß ein Drittel der PDS- Fraktion im Magdeburger Landtag den SPDling lieber mag als seinen eigenen Büttel. Das ist sogar deutlich unter Weizsäckers Niveau.

In einem Artikel in derselben taz hat Anita Kugler das ansatzweise erkannt, was sie beim Schreiben des Kommentars völlig vergessen hat: die von Kohl so hochgelobten Aktiven des 20. Juli – zumindest diejenigen, die wie Stauffenberg Gelegenheit hatten, an Hitler ranzukommen – waren Reaktionäre und Antisemiten, waren größtenteils Nazis, sonst hätten sie schon früher was unternommen (elf Jahre hatten sie Zeit!) und nicht erst dann, als dieses Nazideutschland drohte (!) den Krieg zu verlieren.

Der spöttische Seitenhieb gegen Linke, denen Kohls Rede zuwenig reaktionär war, läuft ins Leere: Sie war schlicht und einfach reaktionär. Ich bin froh, wenn die zu überzeugenden WählerInnen einige Rattenfängereien der Rede nicht verstanden haben; wenn eine Kommentatorin einer „linken“ Tageszeitung sie nicht als solche erkennt, wird mir elend. [...] Paulus Paulerberg, Wuppertal