■ Allerorten wird gestrichen und gekürzt nach Metzgers Art, besonders im Hochschul- und Bildungsbereich
: Intelligent sparen! Aber ja!

Investitionen in eine Zukunft, wie sie am Horizont der Phantasie von Kohl, Voscherau oder Diepgen auftauchen, heißen zum Beispiel Transrapid. Die Magnetbahn soll uns Future bringen. Der Zeitgewinn zwischen Hamburg und Berlin, wenige Minuten verglichen mit einer ICE-Trasse, soll Verkaufsargument für den Rest der Welt werden. Dafür 18 Milliarden investieren? Das glauben sie wohl selber nicht. Ihr Glaube heißt Hochgeschwindigkeit: weg, weg, möglichst schnell weg von der immer schon aufgegebenen Gegenwart. Hamburg und Berlin verbindet in diesen Tagen außer dem Projekt Transrapid auch eine Kehrseite dieser Zukunftswut: ihr suizidaler Generalangriff auf die ohnehin einstürzenden Neubauten ihrer Hochschulen.

An Berliner Hochschulen studieren 150.000 Studentinnen und Studenten. Die Sparvorlage des Senats will die Zahl der Studienplätze in der Hauptstadt die nächsten Jahre auf sage und schreibe 75.000 schrumpfen lassen. Man muß hinzufügen: In Berlin drängeln sich 150.000 Studis bisher auf 115.000 Plätzen. Und künftig? Künftig wird gespart. Immer häufiger ist zwar vom intelligenten Sparen die Rede, gar von den „Chancen des Sparens“, aber mit den schönen Worten hat es sich denn auch. Noch heißt die Parole: „Sparen – koste es, was es wolle.“ Methode: abschneiden. Medizin nach Metzgers Art.

In den nächsten Jahren, wenn die Kosten der deutschen Einheit auf die Länderhaushalte durchschlagen, wird es grausam werden, das prognostizieren Finanzpolitiker aller Couleur. Ein Blick auf den Fachbereich Medizin der Hamburger Universität läßt erahnen, was das heißt: Dort soll jede dritte Professorenstelle gekappt werden. Das Angebot an Studienplätzen in der Medizin wird bundesweit verringert. Vor zwei Jahren hieß die Begründung noch: weniger Bewerber zulassen, um die Qualität des Studiums zu verbessern. Davon ist heute keine Rede mehr. Und weil auch Hamburg seine Universität schrumpfen läßt, setzen die politischen Chirurgen das Messer an den teuren Fachbereich Medizin. Die Folge: Professoren reagieren wie trotzige Kinder, schalten um auf Dienst nach Vorschrift, verstärken ihre Aktivitäten als medizinische Kleinunternehmer und betreten noch widerwilliger als bisher den überfüllten Hörsaal. Aus Berlins Hochschulen sollen zunächst die in der 3,5-Millionen-Stadt doppelt angebotenen Fächer herausoperiert werden. Dabei käme es in Hochschulen, die Zukunftswerkstätten der Gesellschaft sein sollten, darauf an, Ähnliches häufig, aber jeweils anders anzubieten und dabei die Einrichtungen so klein und überschaubar wie möglich zu halten, daß sie sich selbst organisieren, sich eben auf eigene Wege begeben können.

In Berlin beschloß der Senat nun auch, die Plätze im Medizinstudium radikal zusammenzustreichen. Die Vorklinik, also die erste Studienphase, wird in der FU von 600 auf 200 Plätze reduziert. Später wird das FU-Klinikum mit der Charité im Osten zusammengelegt werden. Solche Planungen haben vor allem eines zur Folge: sie machen die Institutionen noch neurotischer, als sie ohnehin sind. Neurose heißt ja, das Subjekt ist so sehr mit sich verheddert, daß es für die Welt keinen Nerv mehr hat. So gerät eine Institution in die Abwärtsspirale. Der Lehrkörper sucht das Leben im Nebenberuf oder harrt der Emeritierung.

Ähnlich reagieren Lehrerkollegien. Bereits elf Bundesländer haben beschlossen, daß Lehrer eine Stunde mehr unterrichten müssen. Die Schülerzahlen werden aber zwanzig Jahre lang wieder steigen. Zusätzliche Stellen jedoch soll es nicht geben. Lehrer reagieren verdrossen. Auch sie warten auf ihre Pensionierung, genauer: auf die Frühpensionierung. An Gymnasien, meldet der Philologenverband, betrage das Durchschnittsalter der Lehrer inzwischen 48 Jahre. In Schleswig-Holstein erreichen nur vier Prozent der Lehrer regulär den Ruhestand. Das sind Anzeichen einer Implosion in den Bildungsinstitutionen. Nichts wie weg. Das Leben ist anderswo.

Indessen veröffentlicht das wissenschaftliche Institut der Bundesanstalt für Arbeit die jüngste Fortschreibung ihrer Prognose bis zum Jahr 2010. Ergebnis: In 15 Jahren werden 40 bis 50 Prozent mehr Akademiker gebraucht als heute. Und selbst die Erklärung der G 7 in Neapel beginnt mit der Forderung: Investitionen in die Bildung sollen verstärkt werden. Das Ziel heißt: eine Kultur lebenslangen Lernens. Ja. – Aber wie? Schulen und Hochschulen stehen an der Schwelle von überkommenen Belehrungsanstalten zu Zukunftswerkstätten, die Lust am Denken, am Ungewissen, kurz, an einer offenen Zukunft ausbilden müssen. Bildung in einem neuen Sinn wird nötig. Gewiß, der nötige Aufbruch läßt sich mit Geld allein nicht stimulieren. Aber mit blinder Sparpolitik wird er vollends erstickt.

Es gibt wohl nur die eine Chance: die Politik muß Schulen und Hochschulen mehr Autonomie geben. Auch wirtschaftliche Autonomie. Warum soll die Schule ihre Aula nicht vermieten? Warum darf sie nicht Geld einnehmen und damit Lehraufträge an Menschen vergeben, die etwas Bestimmtes gut können? Warum soll ein Uni-Institut nicht zugleich Firma sein? Eine Firma, die Einnahmen für das Institut verbucht und nicht aufs Privatkonto eines Professors, der sein Hauptamt längst nur noch nebenberuflich betreibt? Warum gibt es nicht mehr Schulen, die – wie die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden – von den Schülern selbst geputzt werden und das erwirtschaftete Geld nutzen, die Schule zu beleben! Der Übergang vom geputzten zum selbst-putzenden System steht an.

Mehr als die Hälfte der Studenten jobbt, und auch immer mehr Oberstufenschüler arbeiten – nicht nur des Geldes wegen, sondern auch, weil sie auf der Suche nach Auseinandersetzung mit einer härteren Konsistenz von Lebensrealität sind, die ihnen unsere reinen Lehranstalten nie bieten können. Warum gründen Schulen oder Uni-Seminare nicht kleine Joint- ventures mit Firmen, in denen zugleich gearbeitet, gelernt und – da wir gerade übers Geld reden – auch etwas verdient wird?

Wir brauchen eine andere Ökonomie der Kräfte – nicht nur des Geldes. Solche Chancen des Sparens können aber nur realisiert werden, wenn der Staat seine Regelungsmacht einschränkt, wenn er mehr Autonomie zuläßt. Und wenn die Staatsgelder nicht reichen, dann wird sich die Gesellschaft auch auf direkten Wegen engagieren müssen, nicht nur auf den anonymisierenden Bahnen per Steuer und Staatshaushalt.

Ein Mittel wären Bildungsgutscheine, auf die jedermann und jede Frau ein Recht haben. Aber ein Bildungsgutschein ist kein Blankoscheck. Warum solche Bildungsgutscheine nicht zu einem Teil gratis vergeben und zum anderen Teil als Kredit, der später dann – und nur dann – abzutragen ist, wenn bestimmte Einkommensgrenzen überschritten werden? Jeder Medizinstudent zum Beispiel kostet alle, die Steuern zahlen, jährlich mehr als 40.000 Mark. Wenn aus Studenten Ärzte geworden sind, ernten die Mediziner die Früchte der hohen Investition privat: Die Krankenscheine derer, die zuvor über ihre Steuern schon die Ausbildung finanziert haben, bringen den Medizinern gute Jahreseinkommen. Warum sollen diese Ärzte nicht wenigstens einen Teil dessen, was die Gemeinschaft in sie investiert hat, zurückzahlen? Man könnte allen gut verdienenden Akademikern freistellen zu entscheiden, wo sie ihre Schuld begleichen. Reinvestieren sie in ein ökologisches Forschungsprojekt oder in ein Pharmalabor?

Vielleicht gründen sie eine Stiftung, die neue Studienmodelle fördert? Der Bildungsgutschein, wenn er zurückgezahlt wird, zwingt zu Entscheidungen und ermuntert zum gezielten Engagement. Die Demokratisierung des Fiskus wäre ein Beispiel für die erneute „Erfindung des Politischen“, das der Soziologe Ulrich Beck fordert, das unsere Gesellschaft so dringend braucht. Keine Politiker- Politik.

Autonomie ist also die Voraussetzung für intelligentes Sparen. Bürokratisch-chirurgische Sparmaßnahmen hingegen lähmen und machen die Institutionen noch unproduktiver, kosten so gesehen viel Geld.

Die Wirtschaft übrigens beginnt ihre Organisationsrevolution, die auch nur aus der Not geboren wird, damit, Einrichtungen zu verkleinern und sie so überschaubar wie möglich zu halten. Nur so können sie sich selbst organisieren und sich auf eigene Wege begeben. Denn nur kleine Einheiten können lernende Organisationen werden. Zentral gesteuerte Großsysteme arbeiten nach der Grammatik des Belehrens und produzieren in den belehrten Organisationen vor allem Infantilität. Solche Organisationen werden in der Tat verzichtbar. An ihnen darf man sparen. Aber nicht ersatzlos. Doch genau das findet statt.

Die Gesellschaft muß sich entscheiden: will sie Zukunftswerkstätten, oder will sie nur noch einstweilen überleben und dann, nach uns, der Transrapid? Reinhard Kahl

Publizist, lebt in Hamburg