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Neue Minister in Ankara

■ Außenminister Cetin abgelöst / Nachfolger gilt als strammer Nationalist

Istanbul (taz) – „Die Komödie ist beendet“, titelte gestern das türkische Massenblatt Sabah. Die Medien präsentierten einen lächelnden sozialdemokratischen Parteichef, der letztendlich doch seine Aufgaben erfüllt hat. Die Sozialdemokratische Volkspartei (SHP), kleiner Koalitionspartner in der Regierung unter Ministerpräsidentin Tansu Ciller, hat alle elf Ministerposten, die sie in der Regierung stellt, neu besetzt. Außer dem neuen Justizminister Mehmet Mogultay, der vormals Arbeitsminister war, und Staatsminister Fikri Saglar, ehemals Kulturminister, sind die Posten mit Neulingen aus der Fraktion besetzt worden.

Gründe für die Kabinettsumbildung nannte SHP-Parteichef Murat Karayalcin nicht. Der Schritt ist vermutlich ein letzter Versuch, die Partei, die im Schatten des großen Koalitionspartners, der Partei des rechten Weges (DYP), steht und kaum eines ihrer Demokratisierungsversprechen einlösen konnte, über die Vergabe von Ministerposten zusammenzuhalten.

Die Sozialdemokraten erlitten bei den letzten Kommunalwahlen im März große Stimmeinbußen. Die Partei ist von Flügelkämpfen angeschlagen. Eine starke Gruppe in der Fraktion fordert die Aufkündigung der Koalition, in der sich kaum sozialdemokratisches Profil erkennen lasse.

Die Umstände der Kabinettsumbildung, die autokratisch von Karayalcin bestimmt wurde, machten den Parteichef seit einer Woche zum Gespött der türkischen Medien. Noch bevor die alten Minister zurückgetreten waren, wurde die neue Kabinettsliste von Karayalcin bekanntgegeben. Der türkische Außenminister Hikmet Cetin weilte gerade nichtsahnend zusammen mit Ministerpräsidentin Tansu Ciller auf einem Staatsbesuch in Paris, als er erfuhr, daß im fernen Ankara sein Parteichef einen Nachfolger für ihn benannt hatte. Cetin und Justizminister Seyfi Oktay weigerten sich, ihren Rücktritt einzureichen. Da die Kabinettsumbildung mit Ciller abgesprochen war, vertraute Karayalcin darauf, daß die Minister von Staatspräsident Süleyman Demirel aus dem Amt entlassen werden. Doch Demirel weigerte sich, die Minister, die „große Verdienste erworben haben“, aus dem Amt zu heben.

Schließlich mußte Karayalcin sich am Mittwoch förmlich bei Cetin und Oktay entschuldigen, bevor die sozialdemokratischen Genossen ihr Rücktrittsgesuch an die Ministerpräsidentin formulierten. Die beiden Politiker waren die profiliertesten Vertreter der Sozialdemokraten in der Regierung.

Schillernde Figur im Kabinett ist der neue Außenminister Mümtaz Soysal. Der Verfassungsrechtsprofessor hat die Privatisierungsverordnungen der Koalitionsregierung, deren Außenminister er jetzt ist, durch Klage vor dem Verfassungsgericht zu Fall gebracht. Soysal, einst Kultfigur der türkischen Linken in den sechziger Jahren, der es zum Vizepräsidenten von amnesty international brachte, hat sich zum strammen Nationalisten gewandelt. Seine politischen Positionen widersprechen in vieler Hinsicht Grundtendenzen türkischer Außenpolitik. Soysal gilt als antiamerikanisch und antieuropäisch. Er votiert für gute Beziehungen zum Irak Saddam Husseins und ist ein Falke in der türkischen Zypern-Politik.

Soysal, der als Kolumnist für mehrere türkische Tageszeitungen arbeitete, verhehlte nie seine Gesinnung. 1991 hoffte er auf den Sieg der August-Putschisten in Moskau, und die Studenten, die vom chinesischen Regime auf dem Tienanmen-Platz niedergemacht wurden, bezeichnete er als „lächerliche Figuren“. „Die Ernennung Soysals hat auch etwas Positives an sich“, scherzte jüngst ein sozialdemokratischer Abgeordneter, „es beschleunigt das Ende dieser Koalition.“ Ömer Erzeren

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