Einmal die Umwelt auf der Überholspur

■ Erst ein Ozonalarm wie seit Mittwoch in Hessen bringt deutsche AutofahrerInnen offenbar dazu, den chronischen Bleifuß zu entspannen. Für die weitgehende Einhaltung des angeordneten Tempolimits ...

Erst ein Ozonalarm wie seit Mittwoch in Hessen bringt deutsche AutofahrerInnen offenbar dazu, den chronischen Bleifuß zu entspannen. Für die weitgehende Einhaltung des angeordneten Tempolimits gab es Anerkennung sogar von den Umweltschützern. Sie fordern eine strenge Ozonverordnung auch auf Bundesebene.

Einmal die Umwelt auf der Überholspur

Diese Bevölkerung ist reif auch für die generelle Einführung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf den Autobahnen.“ Elke Cezanne, Sprecherin der Landtagsfraktion der hessischen Grünen, lobte gestern die AutofahrerInnen in Hessen über den berühmten Klee. Nicht nur daß die in Zusammenhang mit dem Ozonalarm angeordneten Tempolimits – 90 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen – mehrheitlich eingehalten würden. Immer mehr Menschen, so Cezanne mit dem Verweis auf einen „registrierbaren“ Anstieg der Fahrgastzahlen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), würden ihre Blechkisten gleich in den Garagen oder am Straßenrand stehen lassen.

Hessens Innenminister Gerhard Bökel (SPD) bestätigte gestern, was sich schon am Nachmittag des ersten Tages nach der Auslösung des Ozonalarms abzeichnete: Nach Anlaufschwierigkeiten – offenbar aufgrund von Informationsdefiziten – sollen sich gestern rund 80 Prozent der AutofahrerInnen an die Geschwindigkeitsbeschränkungen gehalten haben. Exakt 15 Meßstellen hatte die hessische Polizei eingerichtet. Und nur bei zwei Meßstellen seien die Daten (nur 40 Prozent) aus dem Rahmen gefallen. Die Gründe dafür, so Bökel, seien „noch nicht bekannt“. Soweit das personell möglich gewesen sei, habe die Polizei die „Geschwindigkeitssünder“ (Bökel) angehalten und auf den Verstoß gegen die Ozonverordnung hingewiesen. Dabei sei den Beamtinnen und Beamten „weitgehend Verständnis entgegengebracht“ worden.

Auf der vielbefahrenen Autobahn Köln–Frankfurt etwa soll es nach Angaben der Polizei kaum noch AutofahrerInnen gegeben haben, die schneller als Tempo 100 fuhren – und wenn doch, seien es überwiegend FahrerInnen von Pkw und Lkw mit ausländischen Kennzeichen gewesen.

Bei so viel Streicheleinheiten für die hessischen AutofahrerInnen wollten auch die Umweltschützer nicht in der Meckerecke stehen. Das Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Eduard Bernhard, zollte den AutofahrerInnen in Hessen „Anerkennung und Lob“. Von Bonn forderte der BBU die umgehende Einführung einer entsprechenden Ozonverordnung auf Bundesebene – „mit Ahndungsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen“.

Wie das hessische Umweltministerium gestern mitteilte, bleibe der Ozonalarm „wegen der andauernden Hochdruckwetterlage mit intensiver Sonneneinstrahlung“ auch in den nächsten Tagen in Kraft. An verschiedenen Meßstationen in Südhessen seien erneut Werte knapp über dem Grenzwert von 240 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft zu verzeichnen gewesen. Doch mit den angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen und dem damit verbundenen Rückgang der Emissionen habe man das primäre Ziel der hessischen Ozonverordnung bereits erreicht: die Verhinderung des Anstiegs der Werte auf Konzentrationen von 300 bis 400 Mikrogramm. Zu solchen Spitzenwerten war es in den vergangenen Jahren auch in Hessen mehrfach gekommen.

Scharfe Angriffe an die Adresse der Bundesregierung richtete gestern Hessens Staatssekretär für Jugend, Familie und Gesundheit, Alexander Müller (Bündnis 90/Grüne). Das Problem der hohen Ozonbelastung, so Müller, sei nicht mit medizinisch begründeten Ratschlägen an Eltern zu lösen, sondern nur durch ein bundesweit wirksames Umschalten in der Verkehrspolitik. „Wir dürfen nicht riskieren, daß gesundheitliche Vorsorge durch eine fahrlässig inkonsequente Verkehrspolitik konterkariert wird.“

Wegen dieser „fahrlässig inkonsequenten Verkehrspolitik“ der Bundesregierung sah sich Müller gestern veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß es bei andauernder Ozonbelastung, vor allem von Kindern und Jugendichen, nicht mehr auszuschließen sei, daß es zu „Langzeitschäden insbesondere in der Lunge“ kommen könne. Müller: „Diese Schäden bleiben zunächst unbemerkt, können aber bei jährlich wiederkehrenden hohen Ozonwerten in späteren Jahren zu einer merklichen Beeinträchtigung der Lungenfunktion führen.“ Klaus-Peter Klingelschmitt,

Frankfurt/Main