„Feierlich“ in die Illegalität

Nach den Bewohnern der Ackerstraße 169/170 wurde auch dem „Schoko-Laden“ gekündigt / Heute abend findet symbolische Neubesetzung statt  ■ Von Uwe Rada

Das „Vogtland“, schrieb Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein anonymer Kriminalpolizist in den „Geheimnissen von Berlin“, sei der dunkelste Ort von Berlin, ein Viertel, in dem die Kriminalität genauso groß sei wie die Einkommen klein, in dem Hehler, Schieber und Lebenskünstler ihr Unwesen trieben. Das alte „Vogtland“ mit seinen „Familienhäusern“ rund um die heutige Tieck- und die Ackerstraße gibt es nicht mehr. Das beschriebene Treiben freilich immer noch. Die Ackerstraße ist Spekulationsterrain, die Lebenskünstler kämpfen um ihr Überleben.

Ihre Schokoladenseite hat die Ackerstraße zur Wilhelm-Pieck- Straße hin. Seit vier Jahren behaupten sich in der Hausnummer 169/170 Besetzer und Besetzerinnen sowie der Schoko-Laden Mitte, eine der schrägsten Szenekneipen der Oststadt. Vier Jahre Kunst und Klamauk, Konzert und Kollektiv, mal unbeholfen, meist professionell – im Gegensatz zu den meisten Besetzerschuppen hielt die Schoko-Crew durch, und die Kneipe mauserte sich schnell zur kulturellen Institution. Selbst den Neidern, die dem Laden ob seines menschlichen Antlitzes zunächst skeptisch gegenüberstanden, ging angesichts konstanter Bierpreise im Vergleich zur real existierenden Preisexplosion rund um die Oranienburger und Auguststraße bald die Luft aus. Etwas freilich bleibt, wie es so schön heißt, immer hängen. Oder fällt einem auf die Füße. Im Fall des Schoko-Ladens sind es die Fliesen. Die ersten, die in Berlin-Mitte an den Wänden besetzter Toiletten klebten.

Die Schattenseite des „Vogtlandes“ sind die Fliesenschieber. Einer von ihnen kommt aus Trier und hört auf den Namen Markus Friedrich. In Großbeeren kaufte er Land und baute das „Fliesencenter Berlin“. Dann kam die Konkurrenz und monierte den Namen „Berlin“. Dann kam Herr Friedrich nach Berlin, sah die Erben der ehemaligen Schokoladenfabrik Stullgys und siegte. Zur Jahreswende 1992/1993 kaufte er die Ackerstraße 169/170. Ein Schicksal zwar, wie es mittlerweile fast jedes ehemals besetzte Haus kennt, doch den Besetzern droht neben den Fliesen nun ein weiterer Umstand auf die Füße zu fallen: Weil das Haus der Schokoladenfabrikanten zu DDR-Zeiten nicht enteignet, sondern lediglich zwangsverwaltet wurde, bekamen die Ackersträßler im Frühjahr 1991 nur befristete Mietverträge. Die liefen im Mai nun aus. Die Besetzer hatten den Versuch versäumt, die ungeliebten Verträge vor dem Verkauf an Herrn Friedrich vom Gericht in ein unbefristetes Mietverhältnis umwandeln zu lassen, und so ist es nun am Fliesenleger, die Gerichte zu bemühen: Markus Friedrich kündigte – den Bewohnern zum 1. Juni, der Kneipe zum 1. August.

Seither hört man in der Ackerstraße wieder Töne wie im „Besetzersommer“ 1990. „Unser Rausschmiß ist nur der Auftakt“, sagen die Altneubesetzer und rufen zum Widerstand. Statt der von Fliesenleger Friedrich geplanten Luxusmodernisierung solle es in der Ackerstraße auch weiterhin Kultur von unten geben. Ähnlich wie bereits bei Kündigung der Wohnungsmietverträge will man heute abend auch im Schoko-Laden mit einer „symbolischen Neubesetzung“ den „feierlichen Gang in die Illegalität“ begießen. Ein Schritt, der im Ostteil der Stadt wohl nicht der einzige dieser Art sein wird. Schließlich gibt es allein in Mitte und Friedrichshain über ein Dutzend Häuser, deren Mietverträge noch in diesem Sommer auslaufen.