Wand und Boden: Archaische Anleihen
■ Kunst in Berlin jetzt: Soleil d'Afrique, Odd Nerdrum, Jörg Waehner
Bei der gegenwärtigen Hitze in Berlin kann auch die Ankündigung, daß in der Galerie Querformat die Sonne Afrikas scheint, die Kunstbetrachterin nicht weiter erschüttern. In Senegal beträgt die Temperatur derzeit übrigens gerade mal 28 Grad Celsius. Afrika erscheint nicht nur deswegen als gemäßigte Zone, sondern auch wegen der überraschend traditionell anmutenden Bilder und Skulpturen. Afrika bleibt sich und seinen Codes treu, erfüllt sie, aber reflektiert sie nicht. Das heißt nicht, die ausgestellten Arbeiten wären uninteressant. Im Gegenteil macht es neugierig, daß die ständige Fortschreibung oder die selbstreflexive Infragestellung der Codes, betreffen sie Material oder Form, die der europäischen Kunst nicht erst heute eigen sind, hier überhaupt nicht Raum greift. Batikarbeiten, bemalte Stoffe und die „Negerplastik“, wie Carl Einstein seine für die europäische Moderne folgenschwere Rezeption schwarzafrikanischer Kunst im 1915 erschienenen Buch betitelte, zeigen volkskunsthaftes Beharrungsvermögen. Allerdings, Dieudonné Oténia verfügt in seinem „Fest auf dem Wasser“ (1993) über drei Malstile, die in bedeutsamer Weise in drei Bildebenen übereinander gestaffelt sind. Dreizehn buntgekleidete Personen mit ihren Musikinstrumenten sind in naiver, zweidimensionaler Manier auf einem Boot, das die Bildmitte beherrscht, versammelt. Ihre Spiegelung im Wasser zitiert europäischen Expressionismus, während der Himmel über dem Hüttendorf am Ufer ein rein dekoratives Band abstrakter Rasterquadrate ist, das an die Op-art erinnert. Auch seine „Tänzer“, 1994, bewegen sich flächig vor einem solchen abstrakt geometrisch gestalteten Hintergrund. Amadou Diallos Papierarbeiten (1994) über den König und die Königin der Ife, über Wassergeister, Fischer und Masken des Volksstammes der Dogon lassen hinter und zwischen den bunten Farbflächen und Rautenmustern Picassos Kohlezeichnungen aufscheinen. Kreisgesichter mit Sonnenstrahlen-Wimpern um die runden Augen. Sabel Guissé ist eine in Frankreich renommierte Künstlerin, deren Ölbilder „Die Gesetzestafeln“ und „Ursprünge und Wahrheit“ (1993) äußerst elegant und reduziert, Chiffren afrikanischer Masken, Schriftzeichen und magische Dreieck- und Rautenformen in erdige Farbflächen eingebunden haben.
Soleil d'Afrique, bis 31. 8., Mi u. Fr 15-18, Do 15-20, Sa 11-14 Uhr, Apostel-Paulus-Straße 35, Schöneberg.
Auch im hohen Norden Europas will der Norweger Odd Nerdrum von der Tradition nicht lassen. Von einer naturalistisch-manieristischen Kunst des Malens, die das monumentale, erzählende Tafelbild des 17. Jahrhunderts, Rembrandts, Caravaggios, aber auch des 19. Jahrhunderts, etwa François Millets, zum Vorbild hat. Das Resultat, wie in der Raab Galerie zu besichtigen, ist eine primitive, archaische Szenerie, bei der man nicht weiß, welcher Vergangenheit oder möglichen Zukunft sie entstammt. „Old man finding his son“ (1993) deutet Alttestamentarisches an. Die Meereslandschaft mit Buchten und Segelschiff im rötlichen Abendlicht; der am Boden hingestreckte Jüngling, der über ihn hochragende alte Mann, hier gibt es keine Gegenwart. Ein Gewehr, das der Alte geschultert hat, erschwert jedoch die reibunglose Passage in vergangene Zeiten und Räume. Auch läßt der blonde Sohn, mit entblößtem Oberkörper dekorativ auf eine goldfarbene Tierhaut gebettet, archaische Züge vermissen. Nichts an ihm ist bäuerlich-erdhaft, eher erinnert er an sehr gegenwärtige männliche Pin-ups. Und auch den „Spring-Man with corn seed“ (1993) assoziiert man eher mit einem sowjetischen Helden der Arbeit, als mit einem vorindustriellen Landarbeiter, wie es die Saatschürze bedeuten will. Der weiße, voluminöse, nackte Oberkörper des Sämannes drängt aus dem dunklen Bildgrund hervor. Sein Körperfleisch ist unter einem gleißenden Seitenlicht herausgearbeitet, das an die Kunstlichtscheinwerfer des klassischen Hollywoodfilms erinnert. Die kunstvolle Malweise und die zeitlosen Motive wie „Man bitten by a snake“ (1992) oder „Man with a horse's head“ (1993) sind dadurch erträglich, daß Nerdrums archaische Anleihen mehr denen verwandt scheinen, die der Science- fiction-Film am alteuropäischen Kulturerbe vornimmt, als daß sie sich von einem direkten Zugriff ableiteten.
Bis 19.8., Mo-Fr 10-18.30, Sa 10-14 Uhr, Potsdamer Straße 58, Tiergarten.
Überraschend neu sind auch Jörg Waehners Fotoarbeiten nicht. Nur ist hier am allerwenigsten zu erkennen, woran sich das Interesse des Betrachters festmachen soll, angesichts der großen Bilder mit den hübschen Motiven. Wären diese Motive geringfügig präsentiert, ginge die Sache in Ordnung. Bekanntlich gilt es als eine der Stärken der Fotografie, das Banale, Marginale, beiläufig zur Anschauung zu bringen. Doch das ist nicht Waehners Anliegen. Er fotografiert ein „Deutsches Requiem“. Und es ist keine ironische Distanz darin zu erkennen, daß dieses auf einer alten „Fortuna“-Schreibmaschine geschrieben ist. „Die Umklammerung wächst um den eigenen Kopf. Der eigene Kopf eine Klammer aus Stadt und Staat ...“ lautet der hochgezogene Text. Als reales Objekt ist die Schreibmaschine an die Wand geschraubt, zwei schwarzweiße Großformate zeigen den Walzenwagen aus seitlichem Blickwinkel. Zwei weitere Bilder die Auf- beziehungsweise Untersicht auf die Tastatur. „Der letzte Besuch im Esplanade“ ist ein farbiges Triptychon; die Aufnahme eines Porzellanwaschbeckens bildet die Mitte. Ein gewisser Reiz verdankt sich seiner altmodischen Form und einem nostalgischen Messingabfluß, der das Motiv der seitlichen Bildflügel hergibt. Hinzu kommen Fotos von Toilettentüren und Schachbrettfliesen, vom Treppengeländer und einer WC-Porzellanschale „Marque Déposée ,Deco‘“ sowie das Bild eines ansehnlichen jungen Mannes mit nackter Brust. Seine Aktaufnahmen im letzten Raum der Galerie Wohnmaschine sind bei schnellem, oberflächlichem Blick Kunstgewerbe. Anders sollte man auch nicht drauf schauen, denn die Symbolik eines Dolches, den der Jüngling aus der Scheide zieht, macht die Sache keineswegs besser.
Bis 28.8., Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Tucholskystraße 34/36, Mitte. Brigitte Werneburg.
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