Eine Messe der Eitelkeiten

■ Interview mit Bernardo Di Pasqua, der fünf Jahre lang für eine Werbeagentur die Festspiele in Verona betreut hat / Die Zeiten des "gehobenen Volksfestes" sind vorbei

taz: Die Festspiele von Verona wurden jahrzehntelang nicht nur als Stelldichein des Belcanto beworben, sondern auch als eine Art gehobenes Volksfest, als Treffpunkt schlichter wie hochentwickelter Musik- und Theaterliebhaber, aber auch als Klatschbörse der oberitalienischen Kultur. Hat dieses Image wirklich gestimmt?

Di Pasqua: Einige Zeit schon, auch wenn es hier wohl zu einer dialektischen Entwicklung kam. Angesichts des Konkurrenzkampfes mit anderen Sommerveranstaltern haben wir versucht, Besonderheiten anzubieten, die man woanders nicht so einfach kopieren konnte. Aufgrund dieses Images kamen dann Leute, die das gesucht haben, was wir „angeboten“ hatten, und die darauf drangen, daß es auch wirklich vorhanden war. Die Veroneser waren seit eh und je Menschen, die sich gut arrangieren konnten, und so wurde dann langsam das verwirklicht, was wir vorher angepriesen hatten. Umgekehrt kann man natürlich einer Veranstaltung nicht einfach ein beliebiges Image aufpropfen. Die Substanz muß vorhanden sein.

Ist das heute noch immer so?

Die Werbung ist prinzipiell noch dieselbe, aber mir scheint, daß sich just 1994 allerhand ändert. Das hängt mit den politischen Veränderungen zusammen. Schon im vergangenen Jahr ist vielen von uns aufgefallen, daß zahlreiche Persönlichkeiten nicht mehr präsent waren, die man früher regelmäßig gesehen hatte – Konsequenz der Schmiergeldermittlungen wohl, die so manchen vordem mit einer Art Hofstaat herumreisenden Politiker nahe ans Spießrutenlaufen heranbrachte. In diesem Jahr sehe ich einen weiteren Wandel: Vor allem die neue Nomenklatura scheint schwer darauf aus zu sein, sich bekanntzumachen, zu vermitteln, daß auch sie „dazugehören“, Bedeutung bekommen.

Wie und wo zeigt sich das?

Das geht bereits aus der Herkunft der Vorbestellungen hervor. Früher waren da die Römer und die Neapolitaner, auch die Leute aus Bologna und Venedig. Dann kamen die Mailänder, das war in den achtziger Jahren. Die sind im vergangenen Jahr wieder verschwunden – und nun kommen wieder viele Bestellungen aus Mailand und dem Umland. Aber es sind nicht mehr dieselben Agenturen, die ordern, sondern andere, neue zumeist. Weiterhin zeigt sich auch ein gewisser Druck auf die Aufführung und die Auswahl der Aufführenden – im laufenden Jahr wird sich da zwar noch nicht viel ändern, weil die Wahl der Werke ebenso wie die Rollenbesetzungen meist schon Jahre zuvor festgelegt werden müssen, sonst klappt das nicht. Aber die neue Schickeria weiß das nicht, und so gab es da schon manchen Versuch, in letzter Minute noch die eine oder andere Stelle neu zu besetzen. In den nächsten Jahren wird das noch deutlicher.

Wie zeigt sich das außerhalb des Festspielambientes?

Da sprechen Sie am besten mit den Geschäftsleuten ringsum. Vor allem die Schmuck- und Pelzgeschäfte können ein Lied davon singen. Bis vor kurzem kannten die ihre Kundschaft zu 80 Prozent seit Jahren, man begrüßte sich wie alte Freunde, wenn die Dame und der Herr vorbeischauten und die eine oder andere Preziose mitnahmen. Heute kommt mit den Neuen in der Regel auch gleich ein Schwarm von „Fingerleuten“ mit, wie wir das nennen: Personen, die vor allem die Aufgabe haben, den Geschäftsleuten durch „diskrete“ Fingerzeige klarzumachen, welch wichtige Person da zu ihnen kommt. Mitunter geht das bis in die Arena hinein, wo solche Leute regelrecht ihre „Bekanntmacher“ dabeihaben, die sie ununterbrochen auf größere Entfernung mit Namen und Titel rufen und ihren Nachbarn dann verständlich machen, welch Ehre dem Festival da heute widerfährt. Der Jahrmarkt des Volkes ist zur Messe der Eitelkeiten verkommen.

Und wird so bleiben?

Sobald es die Nomenklatura geschafft hat, als solche anerkannt und vor allem erkannt zu werden, wird sich alles normalisieren. Dann werden die Neuen wie die Alten scheinheilig zu klagen beginnen, daß man „eigentlich“ gar nicht mehr hierherkommen sollte, weil man vor lauter Bekannten und Leuten, die einen sprechen wollen, gar nicht mehr zum Operngenuß kommt. Fragen: Werner Raith